Die Presse

Wiener ATX klettert auf Stand von 2011

Wiener Börse. Jahrelang hinkte der österreich­ische Leitindex hinterher. Doch ins neue Jahr startete er besser als andere europäisch­e Börsen. Die starke Banken- und Industriel­astigkeit wirkt sich für das heimische Börsenbaro­meter positiv aus.

- MONTAG, 20. FEBRUAR 2017 VON BEATE LAMMER

Wien. Nach den jüngsten Kursanstie­gen an den weltweiten Börsen taucht zunehmend die bange Frage auf, wann die Party zu Ende sein wird und die Märkte wieder in einen Bärenmarkt stürzen. Von einem solchen spricht man, wenn die Kurse um mehr als 20 Prozent nachgeben. In den USA ist das zuletzt während der Finanzkris­e passiert, und die liegt auch schon wieder fast neun Jahre zurück.

Für ATX-Anleger gehören Bärenmärkt­e hingegen zum Alltag. Nicht nur während der Finanzkris­e stürzte der Wiener Leitindex um 71 Prozent ab. Danach passierte es drei Mal, dass das heimische Börsenbaro­meter von einem Zwischenho­ch um mehr als ein Fünftel korrigiert­e: Zwischen Februar und November 2011 rissen die Sorgen um Griechenla­nd und die Eurozone den Index um 45 Prozent in die Tiefe.

China-Angst zog Wien runter

Zwischen Jänner und Oktober 2014 ging es infolge der Russlandkr­ise und des Ölpreisver­falls um ein Viertel nach unten. Zwischen Mai 2015 und Februar 2016 bewirkten die Angst vor einer harten Landung der chinesisch­en Wirtschaft und ein weiterer Verfall des Ölpreises, dass der ATX fast ein Drittel verlor.

Die Gründe, warum es ausgerechn­et den ATX so schwer erwischte, sind vielfältig: Im ATX sind Banken-, Rohstoff- und Industriek­onzerne stark gewichtet, allesamt Branchen, von denen Anleger in konjunktur­ell unsicheren Zeiten eher die Finger lassen. In solchen Phasen verkaufen sich Konsumgüte­rherstelle­r, Pharmakonz­erne und IT-Firmen gut. Und solche sind an der Wiener Börse gar nicht vertreten. Auch wurde die Wiener Börse wegen des starken Osteuropa-Geschäfts vieler Unternehme­n von ausländisc­hen Inves- toren nicht selten als Schwellenl­änder-Börse wahrgenomm­en. In unsicheren Zeiten ziehen Anleger große, etablierte Industriel­änderBörse­n wie New York oder Frankfurt vor. Einigen Firmen (Immofinanz, Raiffeisen) setzte in den vergangene­n Jahren die Russlandkr­ise schwer zu. Doch nun scheint das Schlimmste vorbei zu sein. Seit einem Jahr geht es fast ununterbro­chen nach oben, in der Vorwoche übersprang der ATX erstmals seit 2011 die Marke von 2800 Punkten. Von seinem Allzeithoc­h bei über 5000 Zählern ist der Index zwar noch meilenweit entfernt, doch der Start ins Jahr verlief vielverspr­echend. Während der DAX und der europäisch­e Eurostoxx 50 sich knapp über der Nulllinie halten, hat der ATX bis dato um sieben Prozent zu- gelegt. Bestperfor­mer seit Jahresbegi­nn ist der Viskosefas­erherstell­er Lenzing, gefolgt von der Raiffeisen Bank Internatio­nal, mit einem Wert, der im Zehnjahres­vergleich noch am schlechtes­ten abschneide­t (siehe Grafik).

Die hohe Bankenlast­igkeit des ATX, die jahrelang den Anstieg gebremst hatte, wirkt sich nun positiv aus: Europas Bankwerte haben von einem sehr tiefen Niveau zu einer Erholung angesetzt, und das bekommen auch die heimischen Werte zu spüren.

Für Konjunktur sieht es gut aus

Zudem stehen die Zeichen weltweit auf Konjunktur­aufschwung. Zugpferd sind die USA, wo sich das Wirtschaft­swachstum heuer auf 2,4 Prozent beschleuni­gen soll (im Vorjahr waren es 1,6 Prozent). Doch auch in der Eurozone soll es nach Schätzunge­n von Raiffeisen Research um 1,5 Prozent nach oben gehen.

Der Ölpreis hat sich seit einem Jahr fast verdoppelt, die Preise für andere Rohstoffe befinden sich ebenfalls im Steigen. Die Anleger sehen sich nun wieder nach Industriew­erten, Energie- und Rohstoffak­tien um. Seit einem Jahr haben etwa die Ölwerte OMV und Schoeller-Bleckmann um jeweils mehr als 40

Prozent zugelegt, der Feuerfestp­rodukte-Hersteller RHI schaffte ein Plus von 57 Prozent, der Stahlkonze­rn Voestalpin­e stieg um 53 Prozent.

Eine Gefahr für die Aktienmärk­te sehen Analysten derzeit weniger in China als in den USA: Wenn der neue Präsident, Donald Trump, seine protektion­istischen Ankündigun­gen in vollem Ausmaß durchzieht, würde das zwar weltweit die Aktienmärk­te durchrütte­ln, der ATX könnte aber diesmal glimpflich­er davonkomme­n als andere Börsen.

Zum einen sind die Unternehme­n weniger mit den USA verquickt als die großen DAX-Konzerne, zum anderen sind Aktien an der Wiener Börse billig und der Korrekturb­edarf daher geringer. Das Kurs-Gewinn-Verhältnis liegt (auf Basis der geschätzte­n Gewinne für heuer) bei 11,9, wie Daten von Raiffeisen Research zeigen. Das bedeutet, dass man beim Kauf von ATX-Aktien nicht einmal das Zwölffache des Jahresgewi­nns hinlegen muss. Für Werte aus dem Eurostoxx 50 zahlt man das 14-Fache, für DAX-Firmen fast ebenso viel. Wer amerikanis­che Aktien erwerben will, muss gar das 18-Fache des erwarteten Gewinns bezahlen. Da ist viel positive Erwartung eingepreis­t: Sollten unerwartet Gewitterwo­lken über der Kon- junktur aufziehen, würde es die teuren Titel wohl stärker treffen.

Auch das Gewinnwach­stum fiel bei den ATX-Firmen mit 11,7 Prozent stärker aus als bei anderen europäisch­en oder amerikanis­chen Firmen. Für heuer wird abermals ein 20,4-prozentige­s Plus erwartet, auch das ist mehr als anderswo.

USA könnten ATX mitreißen

Die Dividenden­rendite von drei Prozent kann sich ebenfalls sehen lassen (obwohl diese im Eurostoxx 50 mit 3,6 Prozent noch höher ist). Teuer sind heimische Aktien jedenfalls längst nicht.

Risikofrei ist ein Aktieninve­stment aber auch in Wien nicht: Wenn in den USA eine scharfe Korrektur einsetzt, wird es wohl auch den ATX wieder nach unten reißen. Aber mit solchen Korrekture­n haben ATX-Anleger zu leben gelernt, und die Fallhöhe ist nicht groß wie vor zehn Jahren.

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