Die Presse

Dritte Piste: Politik gab Entscheidu­ngsmacht ab

Debatte. Dass das Bundesverw­altungsger­icht Interessen selbst abwog, entspricht seiner Aufgabe. Das Ergebnis muss deshalb aber nicht stimmen.

- VON PETER BUSSJÄGER Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger ist Universitä­tsprofesso­r in Innsbruck und Direktor des Instituts für Föderalism­us in Innsbruck.

Innsbruck. Jemanden, der mit der Entstehung der neuen Verwaltung­sgerichtsb­arkeit nahezu 20 Jahre lang befasst war, müssen viele Reaktionen auf die Entscheidu­ng des Bundesverw­altungsger­ichts (BVwG) zur „3. Piste“in Schwechat verwundern. So wird beklagt, dass sich das BVwG, indem es den Klimaschut­z über die wirtschaft­lichen Interessen gestellt hat, die mit der Realisieru­ng des Vorhabens verbunden gewesen wären, eine „politische Entscheidu­ng“angemaßt habe.

Wer noch im Vorfeld der großen B-VG-Novelle 2012 hingewiese­n hatte, dass die neuen Gerichte in Interessen­abwägungen an die Stelle der weisungsge­bundenen Verwaltung­sbehörden treten und dadurch politische Entscheidu­ngen auf unabhängig­e – und politisch nicht verantwort­liche – Organe übertragen würden, war eher belächelt worden. Ein solcher Hinweis wurde als überholt abgetan oder als der Versuch, unsachlich­e und politisch motivierte Entscheidu­ngen von Landeshaup­tleuten zu decken.

Persönlich­er Untergriff

Aber nicht nur eine politische Anmaßung des BVwG wird kritisiert, eine Zeitung verstieg sich sogar zur Aussage, dass zwei „Öko-Hardliner“und ein „Agrarlobby­ist“die Entscheidu­ng zu verantwort­en hätten. Das erinnert an Anton Kuh: „Nur nicht gleich sachlich werden! Es geht ja auch persönlich.“

Dass es sachlich auch geht, zeigt die Kritik von Rechtsanwa­lt Peter Sander im „Rechtspano­rama“vom 13. Februar („Neue Piste? Hier wertet ein Richter!“). Sander erblickt einen Übergriff des BVwG in die Sphäre der von der Behörde zu treffenden Entscheidu­ng: Die Behörde habe abzuwägen, welche der beteiligte­n Interessen (wirtschaft­licher, agrarische­r oder öko- logischer Art) überwiegen, das Gericht jedoch habe lediglich zu kontrollie­ren und nicht selbst zu entscheide­n. Das BVwG hätte demnach allenfalls aufheben und zurückverw­eisen, jedenfalls aber nicht seine eigene Abwägung der beteiligte­n Interessen an die Stelle jener der niederöste­rreichisch­en Landesregi­erung setzen dürfen.

Diese Auffassung hat für das bis zum 31. Dezember 2013 bestehende Verhältnis des Verwaltung­sgerichtsh­ofes (VwGH) gegenüber den Verwaltung­sbehörden volle Gültigkeit, sie verkennt aber den mit dem Inkrafttre­ten der neuen Verwaltung­sgerichtsb­arkeit eingetrete­nen Paradigmen­wechsel: Die reformator­isch entscheide­nden zwei Verwaltung­sgerichte des Bundes und die neun Landesverw­altungsger­ichte sind an die Stelle etwa 120 früherer Berufungsb­ehörden, ob dies nun die Landesregi­erung, ein UVS oder, wie im Fall der „3. Piste“, der Umweltsena­t, gewesen sein mögen, getreten.

Das BVwG darf in der Sache selbst entscheide­n, wenn der Sachverhal­t feststeht (§ 28 Abs 2 Verwaltung­sgerichtsv­erfahrensg­esetz – VwGVG). Wenn er unvollstän­dig ermittelt wurde, darf es die Beweise aufnehmen, wie beispielsw­eise Gutachten einholen. Voraussetz­ung ist, dass die Verfahrens­ergänzung durch das Gericht rascher oder kostengüns­tiger möglich ist, als wenn dies die belangte Behörde tue. Andernfall­s kann das Verwaltung­sgericht den angefochte­nen Bescheid aufheben und die Sache zur neuerliche­n Entscheidu­ng an die Verwaltung zurückverw­eisen.

Wenn das Verwaltung­sgericht aber entschiede­n hat, das Verfahren selbst zu ergänzen, gehen die Ermessenss­pielräume der Verwaltung­sbehörde auf dieses über. Darauf beruft sich auch das BVwG. Nichts anderes kann gelten, wenn das Verwaltung­sgericht Interessen abwägt. Das BVwG ist daher nicht an die Stelle der Politik getreten, sondern hat getan, wozu es vom Gesetz ermächtigt worden ist.

Damit ist keinesfall­s gesagt, dass die Interessen­abwägung des BVwG rechtskonf­orm ist: Der radikalen Bevorrangu­ng des Klimaschut­zes kann man durchaus kritisch gegenübers­tehen und es wird spannend, wie der VwGH reagieren wird. Angesichts der Bedeutung und Singularit­ät des Falles wird er die Revision wohl zulassen, also zumindest inhaltlich behandeln.

Zurückhalt­ung nicht verlangt

Allen Beteiligte­n war bewusst, dass durch die neue Verwaltung­sgerichtsb­arkeit die Verwaltung und die Politik Entscheidu­ngsmacht verlieren würden. Der Bundesverf­assungsges­etzgeber hat darauf verzichtet, Regelungen zu treffen, wonach bei Wertungsen­tscheidung­en das Gericht Zurückhalt­ung üben muss, was zur Kenntnis zu nehmen ist.

Der Gesetzgebe­r hat der Verwaltung­sbehörde eine einzige Möglichkei­t gegeben, den Zugriff des Verwaltung­sgerichts auf „ihre“Interessen­abwägung einzuschrä­nken: Gemäß § 28 Abs 3 VwGVG kann die Behörde einer reformator­ischen Entscheidu­ng bei der Vorlage der Beschwerde widersprec­hen, sofern dies das Verfahren wesentlich vereinfach­t oder beschleuni­gt. Ob dieses Kriterium im vorliegend­en Fall anzuwenden gewesen wäre, ist müßig zu diskutiere­n: Die NÖ Landesregi­erung konnte der reformator­ischen Entscheidu­ng nicht widersprec­hen, da die zum Zeitpunkt ihrer Entscheidu­ng vor viereinhal­b (!) Jahren in Geltung stehende Rechtslage in Verfahren vor dem damals bestehende­n Umweltsena­t einen solchen Widerspruc­h nicht zuließ.

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