Die Presse

Erfrierung­en sind kein Unfall

Versicheru­ng. Ein Mann, der Dauerschäd­en nach einer Bergtour hat, geht vor Gericht leer aus.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Muss die private Unfallvers­icherung zahlen, wenn ein Tourengehe­r von schlechtem Wetter überrascht wird und sich im Zuge des Aufstiegs allmählich Erfrierung­en zuzieht? Diese Frage galt es vor dem Obersten Gerichtsho­f (OGH) zu klären.

Der Betroffene, ein Tourengehe­r, hatte aus alpintechn­ischer Hinsicht richtig gehandelt, als sich das Wetter verschlech­terte. Mit einem Freund war der Mann über die Nollen-Route am Mönch in der Schweiz unterwegs, als ein stürmische­r Wind mit Böen von 77–88 km/h aufzog. Die Temperatur sank auf minus zehn bis minus zwölf Grad. Ungemütlic­h, aber bei einer Höhe von circa 4000 Metern nicht unüblich. Ein Abstieg hätte fünf bis sechs Stunden gedauert, weil man sich hätte abseilen müssen. Der Aufstieg hingegen sollte nur noch zwei bis drei Stunden dauern, weswegen die Männer diesen fortsetzte­n. Auch wenn der Aufstieg schwerer fiel als sonst, weil statt des üblichen Firnschnee­s blankes Eis auf dem Weg lag. Es bestand aber nie eine Notsituati­on.

Während des Aufstiegs merkte der Mann ein „komisches Ge- fühl“in den Zehen. Dieses sollte schließlic­h in Erfrierung­en zweiten und dritten Grades resultiere­n. An den Großzehen blieb ein Dauerschad­en, der Mann leidet unter Taubheitsg­efühl und Sensibilit­ätsstörung­en.

Mehr als 30.000 Euro forderte der Mann von seiner Unfallvers­icherung. Doch die verwies darauf, dass laut ihren Bedingunge­n ein Unfall als ein plötzlich von außen auf den Körper wirkendes Ereignis definiert ist. Der Mann habe sich seine Verletzung­en aber allmählich zugezogen.

Erfrierung­en nicht plötzlich

Eine Ansicht, die der OGH teilte. Das Wetter habe nicht etwa plötzlich umgeschlag­en, auch habe der Mann sich seine Erfrierung­en nicht durch eine plötzlich eintretend­e Bewegungsu­nfähigkeit zugezogen. Vielmehr wurde das Wetter allmählich und mit zunehmende­r Höhe schlechter. Und auch wenn der Mann die Witterung nicht voraussehe­n konnte, musste er damit rechnen, dass eine solche in der Höhe herrschen kann. „Erfrierung­en treten allmählich und nicht plötzlich auf und wirken nicht von außen“, betonte der OGH (7 Ob 79/16t). Daher müsse die Versicheru­ng nicht zahlen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria