Übergangener Bewerber schutzlos
Direktionsposten. Eine neue Judikatur des Verfassungsgerichtshofs bewirkt, dass übergangene Kandidaten für Schulleiterposten weder diesen noch den Verwaltungsgerichtshof anrufen können.
Wien. Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) lehnte – entgegen seiner jahrzehntelangen Judikatur – in vergangener Zeit wiederholt die Behandlung von Beschwerden von übergangenen Bewerbern um die Stelle eines Schulleiters ab (Art 144 Abs 2 B-VG). So z. B. mit Beschluss vom 9. Juni 2016 (E 627/2016-5). Dessen Vorgeschichte ist folgende:
Um die Planstelle eines Schulleiters an einer AHS bewarben sich zwei Personen: ein männlicher Personalvertreter und eine parteilose Frau, die als Administratorin tätig war. Der Besetzungsvorschlag des Landesschulrats reihte den männlichen Bewerber an die erste Stelle, die parteilose Frau an die zweite. Diese rief die Bundesgleichbehandlungskommission an, die im Jahr 2012 entschied, dass die Bewerberin als besser qualifiziert anzusehen und ihre Nachreihung daher als Diskriminierung zu qualifizieren sei. Im Dezember 2014 ernannte der Bundespräsident den erstgereihten Mann.
Zweitgereihte besser geeignet
Die Frau bekämpfte die Ernennung ihres Mitbewerbers beim Bundesverwaltungsgericht, das ihrer Beschwerde Folge gab und aussprach, dass von einem Eignungsvorsprung der Beschwerdeführerin auszugehen sei und diese daher zu ernennen gewesen wäre (Beschluss W 213 210686- 11/10E). Das Gericht verwies die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheids zurück.
Gemäß Art 130 Abs 4 B-VG hätte das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerdeführerin selbst zu ernennen gehabt. Das Bundesverwaltungsgericht sah aber von einer Ernennung deshalb ab, weil es der Auffassung war, mit einer solchen Entscheidung in die Kompetenz des Bundespräsidenten zur Ernennung von Bundesbeamten (Art 65 Abs 2 lit a B-VG) einzugreifen. Es ließ zu dieser Frage eine ordentliche Revision zu.
Der Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts wurde sowohl vom ernannten Bewerber als auch vom Bildungsministerium mit Revision beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft. Geltend gemacht wurde u. a., dass die Beschwerde der Beschwerdeführerin mangels Parteistellung zurückzuweisen gewesen wäre. Die Beschwerdeführerin bekämpfte den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts beim VfGH mit der Begründung, das Verhältnis des neueren Art 130 Abs 4 B-VG zum Art 65 Abs 2 lit a B-VG sei eine verfassungsrechtliche Fra- ge, und machte geltend, dass das Bundesverwaltungsgericht in der Sache zu entscheiden gehabt hätte und sie zu ernennen gewesen wäre.
Der VfGH lehnte die Behandlung der Beschwerde gemäß Art 144 Abs 2 B-VG ab, weil von einer Entscheidung „die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist“. Wir lernen vom VfGH Überraschendes: Die Frage nach dem Verhältnis einer neuen Verfassungsbestimmung zu einer älteren ist keine „verfassungsrechtliche Frage“! Eine beachtliche – und für die Beschwerdeführerin verhängnisvolle – Fehlleistung des VfGH.
Das Revisionsverfahren wurde vom Verwaltungsgerichtshof fortgesetzt. Dieser hob den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts auf und sprach aus, dass die Beschwerde der übergangenen Bewerberin mangels Parteistellung zurückzuweisen gewesen wäre (Ro 2016/12/0010). Der Verwaltungsgerichtshof folgte damit seiner langjährigen Judikatur zur Parteistellung von übergangenen Bewerbern im Ernennungsverfahren; diese orientiert sich am Rechtsstaatsdenken des aufgeklärten Absolutismus und steht in diametralem Gegensatz zur früheren Rechtsprechung des VfGH. Dieser vertrat seit 1970 (VfSlg 6151) bis vor Kurzem die Auffassung, dass alle Bewerber, die in einen bindenden Besetzungsvorschlag aufgenommen wurden, Parteistellung haben. Übergangene Bewerber konnten daher beim VfGH Rechtsschutz finden.
Schlüsselfrage Parteistellung
Hob der VfGH einen Ernennungsbescheid aufgrund einer Beschwerde eines übergangenen Bewerbers auf und folgte die Behörde dieser Entscheidung, so sah sich in der Folge auch der Verwaltungsgerichtshof an diese Rechtsansicht gebunden. Dies freilich nur dann, wenn es zuvor eine Entscheidung des VfGH gegeben hatte.
In der rechtswissenschaftlichen Literatur wurde bereits vor Jahrzehnten darauf hingewiesen, dass eine dramatische Rechtsschutzlücke droht, wenn der VfGH in solchen Fällen die Behandlung einer Beschwerde ablehnt. Eine solche Ablehnung führt nämlich dazu, dass die Bestellung von Schulleitern weder vom VfGH noch vom Verwaltungsgerichtshof überprüft wird.
Bleibt der VfGH bei seiner neuen Linie, eröffnet sich für die Schulbehörden ein weiter Raum, Schulleiterbestellungen nach parteipolitischer Willkür und prak- tisch ohne Kontrolle vornehmen zu können.
Übergangenen Bewerbern bleibt nur der mühsame Weg, Amtshaftung geltend zu machen. Ein Erfolg solcher Klagen gibt ihnen zwar nicht die Funktion eines Schulleiters, aber zumindest Schadenersatz. Der OGH bejaht in diesen Fällen Amtshaftungsansprüche (Ob 17/99b). Ist eine Ernennung rechtlich unvertretbar, weil unter Ermessensmissbrauch erfolgt, so steht dem übergangenen Bewerber – ungeachtet der Rechtsprechung der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts – also ein Anspruch auf Schadenersatz zu; ein solcher Bewerber ist so zu stellen, als ob er die Stelle bekommen hätte. Für übergangene Bewerber mag das ein gewisser Trost sein; aber auch wenn man einen meist riskanten und teuren Amtshaftungsprozess erfolgreich hinter sich gebracht hat, bleibt die bittere Erkenntnis, dass die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts in einem wichtigen Bereich jeden Rechtsschutz versagen.