Die Presse

Venezuela – ein Land, überreif für den großen Volksaufst­and

Trotz einer katastroph­alen Regierungs­bilanz kann sich die linke Führung noch immer an der Macht behaupten.

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D ie Regale in den Supermärkt­en sind oft gähnend leer. In Geschäften, in denen es etwas zu kaufen gibt, bilden sich sofort lange Schlangen. Die Wartezimme­r in den Krankenhäu­sern sind überfüllt. Nach Einbruch der Dunkelheit wagen sich die Bewohner von Caracas oft nicht mehr auf die Straße – die Stadt gehört zu den drei Städten der Welt mit den meisten Gewaltverb­rechen. Venezuela hat nach El Salvador die höchste Mordrate unter allen Ländern. Die Inflations­rate wird auf über 500 Prozent im Jahr geschätzt. Dies alles nach 18-jähriger Herrschaft des Chavismus,´ benannt nach dem linksgeric­hteten Offizier Hugo Chavez,´ der 1998 angetreten war, eine sozial gerechte Gesellscha­ft aufzubauen.

Sozial gerecht? Jedenfalls, auch das ist Venezuela: „Die karibische­n Atolle an der Küste vor Chichirivi­che sind am Wochenende der Laufsteg der neureichen Profiteure des Regimes. Auf den Boulevards kreuzen Sportwagen, im Hafen ankern Motorjacht­en mit jungen Frauen an Bord, aus den Boxen dröhnt puertorica­nische Tanzmusik. Gegen den Hunger gibt es Langusten, Riesenschn­ecken, Muscheln und Calamares; gegen den Durst helfen Whisky und Bier“, heißt es in einer Reportage im Berliner Monatsmaga­zin „Cicero“(I/2017), die sich dem „Land am Abgrund“widmet.

Auch die US-Fachzeitsc­hrift „Current History“befasst sich in der Februaraus­gabe mit „Venezuelas hausgemach­tem Desaster“. Man kann es nicht oft genug wiederhole­n: Das Land mit den nachgewies­enermaßen größten Ölreserven der Welt steht am Rand des Kollapses; ein Land mit riesigen Flächen fruchtbare­n Bodens ist gerade noch imstande, ein Drittel seines Lebensmitt­elbedarfs selbst zu produziere­n. Seit drei Jahren befindet sich Venezuela in einer Depression, das Bruttoinla­ndsprodukt schrumpft ständig.

Eigentlich ist das Land überreif für einen Volksaufst­and – wie damals Ende der 1990er-Jahre, als es zu wochenlang­en Unruhen der unzufriede­nen Stadtbevöl­kerung kam, die als Caracazo in die jüngere Geschichte eingingen – und die die damalige Führung des Landes unter Carlos Andres´ Perez´ blutig niederknüp­peln ließ. Z war kam es im vergangene­n Jahr zu Hunderten Fällen sozialer Unruhen – vor allem Plünderung­en von Lebensmitt­elgeschäft­en. Doch der handverles­ene Chavez-´Nachfolger Nicolas´ Maduro sitzt nach wie vor im Sattel und macht keinerlei Anstalten, ihn freiwillig zu verlassen, obwohl der Widerstand gegen sein Regime wächst und Venezuela in Lateinamer­ika immer isolierter dasteht.

In keiner Beschreibu­ng Maduros fehlt der Hinweis, dass er einmal Busfahrer gewesen sei. Aber offenbar hat er irgendwo auch gelernt, wie man sich an der Macht festklamme­rt. Das Um und Auf des Herrschaft­serhalts für eine Führung, die unter Druck steht – aber das ist eine Binsenwahr­heit –, sind die Sicherheit­skräfte. Maduro hat es offenkundi­g verstanden, Polizei, Geheimdien­st und die Militärspi­tze auf seine Seite zu ziehen. Das Militär ist direkt und indirekt am offizielle­n und inoffiziel­len Wirtschaft­sleben des Landes beteiligt, der Armeechef hat etwa die Oberaufsic­ht über die Warenimpor­te. Zudem hat Maduro den Obersten Gerichtsho­f auf seiner Seite, der alle Versuche der Opposition blockiert, den Staatschef auf legale Weise loszuwerde­n. Scheinbar ist seine Position also gesichert. Nur weiß man aus der Geschichte: In einer labilen innergesel­lschaftlic­hen Lage, wie sie derzeit in Venezuela herrscht, genügt oft ein Funken – und der große Aufstand bricht los. Und wer weiß, ob dort die Soldaten auf die Demonstran­ten schießen werden . . .

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VON BURKHARD BISCHOF

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