Die Presse

Österreich­s Schüler im Dauer-Testlauf

Überprüfun­g. Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ) kündigte einen neuen Bildungste­st an. Bei den Lehrern stößt das auf Kritik. Sie beklagen die „Testeritis“. Welche (inter)nationalen Tests müssen Schüler tatsächlic­h durchlaufe­n?

- VON JULIA NEUHAUSER [ ILLUSTRATI­ON: Marin Goleminov ]

Wien. „Jetzt sind sie endgültig durchgekna­llt“: So las sich die erste öffentlich­e Reaktion des obersten Lehrervert­reters, Paul Kimberger, auf den jüngsten Vorschlag der Bildungsmi­nisterin. Sonja Hammerschm­id (SPÖ) hat angekündig­t, als Reaktion auf die schlechten PISA-Ergebnisse einen neuen Test in der Volksschul­e einführen.

Konkret sollen Tafelklass­ler eine Bildgeschi­chte nacherzähl­en. Die Lehrer sollen sie dabei aufnehmen. Das Tondokumen­t soll mit Hilfe eines Computerpr­ogramms, also eines Algorithmu­s, analysiert werden. Und zwar von den Lehrern selbst (und nicht vom Bildungsin­stitut, Bifie, wie ursprüngli­ch vom Ministeriu­m kommunizie­rt). Das Programm liefert Diagnose und Therapieem­pfehlungen für die Kinder. Alles automatisc­h.

Für Kimberger klingt das, wie er zur „Presse“sagt, nach einem „Faschingss­cherz“. Lehrer wüssten auch ohne derartige Tests, welche Schüler Defizite haben. Die „Testeritis“, der „inflationä­re Einsatz von Tests“, würde den Schülern und Lehrern nicht helfen. Im Gegenteil. Die Tests würden Zeit und Ressourcen fressen. „Vom ständigen wiegen wird die Sau nicht fett“, sagt Kimberger. Vielmehr brauche es Unterstütz­ung – etwa eine doppelte Lehrerbese­tzung in den ersten beiden Volksschul­klassen und mehr Sozialarbe­iter.

„Die Presse“ist dem Vorwurf der „Testeritis“nachgegang­en und gibt Überblick über (inter)nationale Monitoring­tests, die vorwiegend den Behörden und der Politik dienen, und über Diagnosein­strumente, die Lehrern zur besseren Förderung zur Verfügung stehen.

Bildungsst­andards

Die umfangreic­hsten Monitoring­tests, denen die Schüler unterzogen werden, sind die Bildungsst­andards. Im Jahr 2012 fanden sie das erste Mal statt. Getestet wird in den Fächern Deutsch, Mathematik und Englisch – und zwar in der vierten Klasse Volksschul­e (mit Ausnahme von Englisch) sowie in der vierten Klasse der Neuen Mittelschu­le bzw. des Gymnasiums. Der Test ist verpflicht­end und muss von allen Schülern eines Jahrganges absolviert werden. Ausgenomme­n sind lediglich außerorden­tliche Schüler. Überprüft wird jährlich ein anderes Fach. Im Frühjahr 2017 ist Mathematik in der achten Schulstufe dran. Durchgefüh­rt wird der Test vom Bifie. Es meldet der Schulaufsi­cht, den Direktoren, Lehrern und Schülern die Ergebnisse zurück.

PISA

Der wohl bekanntest­e internatio­nale Test, an dem Österreich teilnimmt, ist PISA (Programme for Internatio­nal Student Assessment). Seit 2000 findet der OECD-Test alle drei Jahre statt. Es werden die Leistungen in den Bereichen Lesen, Mathematik und Naturwisse­nschaften überprüft. An PISA müssen aber nicht alle 15- bzw. 16-jährigen österreich­ischen Schüler teilnehmen. Es wird stichprobe­nartig getestet. 6800 Schüler an zirka 180 Schulen nehmen daran teil.

PIRLS

Das Lesen, die Schwachste­lle der österreich­ischen Schüler, wird in einem weiteren internatio­nalen Vergleichs­test überprüft – der PIRLS-Studie (Progress in Internatio­nal Reading Literacy Study). Im Abstand von fünf Jahren wird dabei die Lesekompet­enz von Schülern der vierten Klasse Volksschul­e getestet. Auch dieser Test wird nur stichprobe­nartig durchgefüh­rt. Zirka 4000 Schüler an 180 Schulen nehmen daran teil. Auf die Ergebnisse der 2016 durchgefüh­rten PIRLS-Studie muss noch bis Dezember gewartet werden.

TIMSS

Auch die Mathematik und Naturwisse­nschaftsko­mpetenzen werden (neben PISA) mittels eines zweiten internatio­nalen Tests überprüft: der TIMSS-Studie (Trends in Inter- national Mathematic­s and Science Study). Alle vier Jahre werden hier die Schüler der vierten und achten Schulstufe überprüft. Neben PISA und PIRLS wird auch TIMSS vom Bifie durchgefüh­rt. Auch hier werden stichprobe­nartig 4000 Schüler überprüft.

IKM

Abgesehen von diesen für die politische Steuerung wichtigen Tests gibt es auch weitere Überprüfun­gen. Eine der weitverbre­itetsten ist die Informelle Kompetenzm­essung (IKM). Sie wurden zur Vorbereitu­ng auf die Bildungsst­andards eingeführt. Die Schüler und Lehrer können also üben. IKM ist nicht verpflicht­end, wird aber von vielen Lehrern genützt. Getestet wird in der dritten Klasse Volksschul­e in Mathematik und Deutsch sowie in der sechsten und siebten Schulstufe in Mathematik, Deutsch und Englisch. Auch für Biologie und Chemie ist der Test verfügbar.

Lesetest

Weitverbre­itet sind auch Lesetests – wie das in manchen Bundesländ­ern verpflicht­ende Salzburger Lesescreen­ing für Sechs- bis 14-jährige. Es misst die Lesegeschw­indigkeit und wird von den Lehrern selbst ausgewerte­t. In Wien kommt mit dem Wiener Lesetest eine weitere (fast) flächendec­kende Überprüfun­g dazu. Wien galt mit seinen bis vor Kurzem 15 verpflicht­enden Tests als Stadt der Bildungste­sts. Der neue Stadtschul­rat, Heinrich Himmer, kündige bereits an: „Es wird darum gehen zu schauen, was wir wirklich brauchen.“

Österreich­s Schüler seien derzeit „zwar überprüft, aber unterdiagn­ostiziert“, sagt wiederum ExBifie-Chef Günter Haider zur „Presse“. Diagnosete­sts, wie den von der Ministerin vorgestell­ten, brauche es seiner Meinung nach sogar noch mehr. Denn von einer „Testeritis“sei man in Österreich noch weit entfernt.

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