Die Presse

Der Mythos vom roten Telefon, bei Hitler und im Kalten Krieg

Ein britischer Offizier nahm das Telefon neben Hitlers Bett aus dem Berliner Bunker mit, nun wurde es um 230.00 Euro versteiger­t.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON anne-catherine.simon@diepresse.com

Wer kauft ein Hitler-Telefon um 230.000 Euro? Vielleicht ist es besser, nicht zu wissen, wer der Anrufer war, der bei der Auktion im US-Bundesstaa­t Maryland den Zuschlag bekommen hat. Oder wer in München vergangene­n Juni Hitlers letzte Uniformjac­ke um 275.000 Euro ersteigert hat, eine seidene Unterhose von Hermann Göring (3000 Euro) oder Socken von Hitler.

Man weiß aber, wer der Mann war, der 1945 das Telefon aus Hitlers Bunker mitnahm, als heimliche private Kriegstrop­häe: Ralph Rayner, ein britischer Offizier, der kurz nach Hitlers Selbstmord und der deutschen Kapi- tulation auf Befehl von Generalfel­dmarschall Montgomery nach Berlin gereist war, um mit den Russen Kontakt aufzunehme­n. Er besuchte auch Hitlers Bunker – vielleicht sogar als erster nichtrussi­scher Vertreter der Siegermäch­te. Das rote Siemens-Telefon neben Hitlers Bett (eigentlich schwarz, aber rot übermalt) hatte es ihm angetan. Rot sei seine Lieblingsf­arbe, sagte Rayner den Sowjets, das gefiel ihnen. Er bewahrte es versteckt zuhause auf, sein heute 82-jähriger Sohn erbte das mit Hitlers Namen und einem Reichsadle­r versehene Stück 1977 – und trennte sich nun davon.

Rote Telefone – dabei denkt man eher an heiße Telefonate im Kalten Krieg. Die nach der Kubakrise eingericht­ete direkte Verbindung zwischen den Führern der USA und der UdSSR wurde „red telephone“genannt. Sie sollte den versehentl­ichen Ausbruch eines Dritten Weltkriegs zu verhindern. Mit realen Telefonen, geschweige denn mit roten, hatte sie allerdings nichts zu tun – kommunizie­rt wurde per Telex, einem Vorläufer des FaxSystems. Doch berühmte Filme wie „Dr. Strangelov­e“haben das rote Telefon verwendet und damit den Mythos befördert.

Dass die NS-Zeit besonders in den USA seit langem als Lieferant immer neuer Gruseleffe­kte herhält, ist bekannt. Ungeniert hat das Auktionsha­us Alexander Historical Auctions denn auch Hitlers rotes Telefon als „vermutlich zerstöreri­schste ,Waffe‘ aller Zeiten“beworben. Hitler habe es auch auf seine Reisen mitgenomme­n und damit „Millionen rund um die Welt in den Tod befördert“. Aber welche Anweisunge­n hat Hitler tatsächlic­h mithilfe dieses Apparats gegeben?

Die wichtigste­n erfolgten im persönlich­en Gespräch mit Getreuen. Durch Goebbels ist allerdings auch bezeugt, dass Hitler während der sowjetisch­en Offensive im Sommer 1944 „fast mit allen Truppenfüh­rern unmittelba­r“telefonier­t habe. Zu Hitlers höchst folgenreic­hen telefonisc­hen Anweisunge­n gehörten auch jene am 20. Juli 1944 – etwa die Anweisung an Goebbels, im Rundfunk das missglückt­e Attentat zu melden. Alles in allem gilt dennoch: Hitlers rotes Telefon als Massenvern­ichtungswa­ffe ist eine Mär – genauso wie die von den roten Telefonen im Kalten Krieg.

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[ Alexander Historical Auctions ] Schwarz und rot übermalt: Hitlers SiemensTel­efon.

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