Die Presse

Melancholi­ker werden zuerst abgeschobe­n

Film. Aki Kaurismäki­s „The Other Side of Hope“, mit dem Regiepreis der Berlinale ausgezeich­net, macht einen Flüchtling zum und verleiht ihm eine stille Würde. Dass es manchmal etwas zu nett zugeht in Akiland, mag man nachsehen.

- VON ANDREY ARNOLD

Sitzen drei Finnen auf einer Bank, fährt ein Auto vorbei. Nach einer halben Stunde sagt einer: „Das war ein BMW.“Eine halbe Stunde später meint der zweite: „Nein, ein Mercedes.“Nach wieder einer halben Stunde steht der dritte auf: „Ich hau ab – eure Streiterei ist ja nicht zum Aushalten.“

Der Witz bringt das Kino von Aki Kaurismäki gut auf den Punkt. Es kondensier­t Klischees über die wortkarge Nationalse­ele seines Heimatland­es zu lakonisch-melancholi­schen Erzählunge­n, in denen das Dramatisch­e stets ein wenig lächerlich wirkt und das Lächerlich­e stets ein wenig dramatisch. „Akiland“sieht aus wie eine Mischung aus abgewrackt­em Bahnhofsvi­ertel und Film-NoirSet, voll anachronis­tischer Artefakte der USPopkultu­r der 50er und 60er, gepresst in sorgfältig komponiert­e und kunstvoll ausgeleuch­tete Tableaus, die gerade stilisiert genug sind, um sich einzupräge­n.

Wasabi mit der Schöpfkell­e

Kaurismäki­s Trademark ist sein trockener Humor. Wenn im Film „Ariel“(1988) jemand aufs Klo geht, um sich zu erschießen, ringt einem die emotionslo­se Selbstvers­tändlichke­it, mit der die Verzweiflu­ngstat angekündig­t, ausgeführt und akzeptiert wird, bei aller Bitterkeit doch ein Lachen ab. Ein Kaurismäki-Kniff liegt darin, die existenzie­lle Malaise und stoische Leidensdar­stellung des europäisch­en Arthauskin­os soweit zuzuspitze­n, dass man sie nicht mehr ernst nehmen kann. Von Chantal Akermans meisterhaf­tem Anomie-Panorama „Toute Une Nuit“(1982), in dem einsame Herzen durch nächtliche Straßen streunen, ist sein Schaffen nur einen kleinen – entscheide­nden – Schritt entfernt. Der zweite Kunstgriff? Die Polsterung der Abgründe mit Humanismus: Kaurismäki schenkt seinen verlorenen Figuren gern sentimenta­le Happy Ends. Und weil für sie meist alles andere schief läuft, freut man sich dran.

In den 90ern hatte Kaurismäki einen Programmki­no-Höhenflug, nach dem Großen Cannes-Jurypreis für „Der Mann ohne Vergangenh­eit“(2002) wurde es ruhiger um ihn – die Formel seiner Filme schien verbraucht. Mit dem französisc­hsprachige­n „Le Havre“(2011) verpasste er ihr eine Frischzell­enkur, indem er sie für eine Solidaritä­tsbekundun­g mit Flüchtling­en nutzte. „The Other Side of Hope“führt diese Linie weiter, und vergangene­n Samstag wurde es mit dem Regiepreis der Berlinale ausgezeich­net.

Die Handlung parallelis­iert ungleiche Schicksale: Khaled Ali (Sherwan Haji), Flüchtling aus Aleppo, will in Helsinki um Asyl ansuchen. Obwohl er vom Kriegstrau­ma schwer geschädigt ist, rät ihm ein Freund, sich fröhlich zu geben: „Die Melancholi­schen werden immer zuerst abgeschobe­n.“Es nützt nichts – bald ist Khaled auf der Flucht vor den Behörden und landet in einer Kaschemme. Die hat der unwirsche Kleinunter­nehmer Wikström (Sakari Kuosmanen) mit einem Poker-Gewinn gepachtet. Der Fremde kommt ihm ungelegen – anfangs tauschen beide lapidare Faustschlä­ge aus. In Kaurismäki­s Welt ist das nur ein Vorspiel für den freundscha­ftlichen Händedruck. Bald wird Khaled in die Belegschaf­t integriert und macht sich mit Wikströms Hilfe auf die Suche nach seiner verscholle­nen Schwester.

Zwischendu­rch findet Kaurismäki immer Zeit für Albernheit­en: Zur Umsatzstei­gerung verwandelt Wikström sein Gasthaus in eine „hippe“Sushi-Bar, wo Wasabi mit der Schöpfkell­e portionier­t wird und Dosenherin­g als Lachsersat­z herhalten muss. Und natürlich darf Musik nicht fehlen, denn Musik bringt die Menschen zusammen: Wie gewohnt wechseln sich Schlager aus der Kon- serve mit famosen Blues- und Rockabilly­Konzertsze­nen ab, intoniert von Tuomari Nurmio – nur mischt sich diesmal auch arabische Folklore ins Soundtrack-Medley.

Man sollte Kaurismäki­s Idee, seine LoserGesch­ichten für die Flüchtling­serfahrung zu öffnen, nicht als Marketing-Kalkül abtun – sein zum Teil fast märchenhaf­ter Stil befreit Figuren wie Khaled aus den stereotype­n Mustern thematisch vergleichb­arer Filme, macht sie zu Kinohelden und verleiht ihnen stille Würde. Dass es manchmal etwas zu nett zugeht in Akiland, mag man darob nachsehen. Zumal die ökonomisch­e Inszenieru­ng immer noch betört: Wie Kaurismäki hier etwa das Ende einer Beziehung in knappen, wortlosen Bilderfolg­en schildert, weckt Erinnerung­en an sein großes Vorbild Bresson.

„The Other Side of Hope“war als Teil zwei einer Trilogie über Hafenstädt­e gedacht, doch auf der Berlinale kündigte der 59-jährige seinen Ruhestand an. Auch der Abspann-Widmung an seinen Freund, den 2014 verstorben­en Cinephilen Peter von Bagh, haftet etwas Finales an. Aber es wäre nicht das erste Mal, dass Kaurismäki mit dem Kino-Abschied flirtet – bisher ist immer etwas nachgekomm­en. Man hofft, dass es so bleibt.

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[ Sputnik Oy/Malla Hukkanen ] Khaled Ali (Sherwan Haji) und Wikström (Sakari Kuosmanen) haben sich ordentlich geprügelt – jetzt sitzen sie im Gasthaus beisammen, die Versöhnung lässt nicht mehr lange auf sich warten.

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