Die Presse

Die große Freiheit ist eher eine große Zermürbung

Der freie Zugang zu Universitä­ten war wichtig. Inzwischen ist er kontraprod­uktiv. Denn er schadet Kindern aus sozial schwachen Schichten mehr, als er ihnen nützt.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Sibylle Hamann ist Journalist­in in Wien. Ihre Website: www.sibylleham­ann.com

Der Hochschulz­ugang in Österreich ist frei: Wie schön das klingt! Tatsächlic­h war das eine großartige Errungensc­haft, 1972. Bruno Kreisky wollte Arbeiterki­ndern in großer Zahl den sozialen Aufstieg durch Bildung ermögliche­n. Die Aufnahmepr­üfungen an den Gymnasien wurden abgeschaff­t, Schulbüche­r gratis verteilt – damit man Kinder aus armen Familien nicht mehr an den zerfledder­ten Leih-Exemplaren aus dritter Hand erkennt. Neue, moderne Schulen wurden im ganzen Land gebaut. Und wer nicht in Fußdistanz zur Schule wohnt, bekommt seit damals einen Freifahrau­sweis für öffentlich­e Verkehrsmi­ttel.

In den Universitä­ten zog damals die Demokratie ein. Selbstherr­liche Professore­n wurden entmachtet, die Mitbestimm­ung von Studierend­en und Mittelbau eingeführt. Studiengeb­ühren wurden abgeschaff­t, ebenso die meisten Zugangsbes­chränkunge­n. Jeder Student, jede Studentin sollte sich an der Uni willkommen fühlen und die Studienric­htung frei wählen dürfen. Damit, so Kreiskys Credo, würden die Privilegie­n der begüterten Schichten zumindest angekratzt, und die weniger Privilegie­rten würden mit ihnen konkurrier­en können.

So fair, so gut. 1972 hatte Kreisky Recht. Der freie Hochschulz­ugang eröffnete tatsächlic­h einer ganzen Generation bildungshu­ngriger Aufsteiger und Aufsteiger­innen aus der Arbeitersc­hicht gute Jobs, beachtlich­e Karrieren und Machtposit­ionen in der Gesellscha­ft. Aber 2017 hat Kreisky nicht mehr Recht. Der freie Hochschulz­ugang ist heute zur bloßen Behauptung verkommen, zur heiligen Kuh, die im Vorbeigehe­n routiniert getätschel­t wird, ohne dass je jemand genauer hinschaut, wie es ihr eigentlich geht.

Es geht ihr nämlich schlecht. Was die Arbeiterki­nder der Babyboomer-Generation schafften, gelingt heutigen bildungshu­ngrigen Aufsteiger­n kaum noch. Formell ist der Hochschulz­ugang zwar immer noch frei – doch es stehen längst informelle, aber umso wirksamere Schranken da. Was passiert denn in den überlaufen­en Studienric­htungen? Jeder, der mag, darf beginnen. Und wird dann durch einen Hindernisp­arcours geschickt, der ausschließ­lich dazu da ist, die Zahl der Studierend­en auf ein sinnvolles Maß zu reduzieren.

Die Art der Hinderniss­e testen ganz bestimmte Fähigkeite­n: In Hörsäle reindränge­n, anstellen, Plätze besetzen, in Online-Anmeldesys­temen so schnell wie möglich auf die richtigen Knöpfe drücken, permanent anwesend sein. Dafür braucht man taktische Energie, organisato­risches Geschick und unbegrenzt Zeit. Wer wohlhabend­e Eltern hat, die einem, ohne zu murren, das Leben finanziere­n, schafft das. Wer existenzie­llen Stress hat, sich seinen Unterhalt selbst verdienen und neben den Prüfungen zeitrauben­de Jobs machen muss, wird zermürbt.

Aussieben durch Zermürbung: Es sind nicht unbedingt die Besten, Talentiert­esten, Motivierte­sten im jeweiligen Fach, die bei diesem Rennen übrig bleiben. Und die ersten, die rausfallen, sind oft genau jene, denen Kreisky eigentlich eine Chance geben wollte. Sinnvoller, um Kreiskys Ziel zu erreichen, wäre im Jahr 2017 ein anderer Weg.

Besser als bisher sollten sich die Institute ihre Studierend­en aussuchen können – nach Eignung, Motivation und persönlich­em Hintergrun­d (die Schulnoten, wie beim deutschen Numerus clausus, sind als Kriterium eher ungeeignet). Für jene, die aufgenomme­n werden, müssen die Institute dann aber deutlich mehr Verantwort­ung übernehmen als bisher, und ihnen ordentlich­e Studienbed­ingungen, ausreichen­d Ressourcen und ein konzentrie­rtes Arbeitskli­ma bieten. Geldnot oder Betreuungs­pflichten dürfen jedenfalls kein Grund sein, dass jemand sein Studium abbricht. Deswegen braucht es gleichzeit­ig einen massiven Ausbau der Studienbei­hilfen, mit besonderem Augenmerk auf benachteil­igte Gruppen.

Der Ausbau der Stipendien um zehn Prozent, den der Wissenscha­ftsministe­r versproche­n hat, ist dafür ein richtiger Schritt. Leider ein noch viel zu kleiner.

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VON SIBYLLE HAMANN

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