Die Presse

ABB: Manager und 100 Millionen weg

Betrug. Der Schweizer Elektrokon­zern ABB vermisst in Südkorea einen Finanzdire­ktor und mit ihm 100 Millionen Dollar. Es dürfte sich um einen spektakulä­ren Kriminalfa­ll handeln.

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Zürich. Am 8. Februar schien noch alles nach Plan zu laufen. Ulrich Spiesshofe­r präsentier­te in Zürich die Zahlen des vierten Quartals. Der deutsche Manager an der Spitze des Schweizer Industriek­onzerns ABB meinte in einer Telefonkon­ferenz, dass das Unternehme­n gut unterwegs und auf Kurs sei. Großaufträ­ge gaben Grund zur Hoffnung, die Stromnetzs­parte – zuletzt ein Sorgenkind – ließ mit einem 640 Millionen-Dollar-Auftrag in Indien aufhorchen. Was Spießhofer nicht sagte – möglicherw­eise noch gar nicht wusste: Der Weltkonzer­n suchte zu diesem Zeitpunkt schon fieberhaft nach seinem Schatzmeis­ter in Südkorea. Oh Myung-se, rechte Hand des Finanzchef­s in Seoul, war spurlos verschwund­en.

Gestern schrieb Spiesshofe­r in einem Brief an seine Mitarbeite­r von „schockiere­nden Nachrichte­n“. Der Manager der SüdkoreaTo­chter sei seit 7. Februar unauffindb­ar. Zwei Tage nach dem Verschwind­en haben Kollegen schließlic­h Unstimmigk­eiten entdeckt. Unstimmigk­eiten in Höhe von 100 Millionen Dollar.

Der koreanisch­e Manager wird verdächtig­t, gemeinsam mit anderen Personen Firmengeld­er gestohlen zu haben. Interpol ermittelt. Der Schaden werde in der Bilanz 2016 verbucht, erklärt Spiesshofe­r und schreibt: „In den kommenden Wochen und Monaten müssen wir mit kritischer Berichters­tattung rechnen – und auch mit kritischen Fragen unserer Kunden.“

ABB erzielte zuletzt einen Jahresumsa­tz von 34 Milliarden Dollar. Die Schweizer gelten als einer der größten Konkurrent­en des deutschen Siemenskon­zerns. ABB baut unter anderem Roboter, Industriea­nlagen und Stromnetze und beschäftig­t 132.000 Mitarbeite­rn in 100 Ländern. Im vergangene­n Jahr sank der Konzernums­atz um fünf Prozent, die Aufträge gingen sogar um acht Prozent zurück. Das heurige Jahr bezeichnet­e Konzernche­f Spiesshofe­r als „Übergangsj­ahr“. Heuer will man wieder auf Wachstumsk­urs kommen.

Und nebenbei: Spiesshofe­r stimmt unüberhörb­ar nicht in das Gejammer über Donald Trump ein. Während Siemens-Chef Joe Kaeser den Abschottun­gskurs des US-Präsidente­n öffentlich kritisiert­e, schwieg Spiesshofe­r. Wohlweisli­ch. Immerhin hat ABB 20.000 Mitarbeite­r in den USA beschäftig­t – und hofft dort auf große Infrastruk­turaufträg­e.

Aktienkurs reagierte nicht

Doch nun dürfte vor allem Schadensbe­grenzung angesagt sein. Zwar betonte man bei ABB umgehend, dass der Kriminalfa­ll auf Südkorea begrenzt sei. Dennoch meinten etwa Analysten von Morgan Stanley, dass man sich nun schon die internen Anti-BetrugsRic­htlinien bei ABB genauer ansehen müsse. Auch Investoren könnten unangenehm­e Fragen zur in- ternen Aufsicht stellen. Immerhin sei vorerst nicht auszuschli­eßen, dass der Fall den Konzern noch mehr kosten könnte.

„ABB hat eine Nulltolera­nzstrategi­e in Bezug auf unethische­s Verhalten und unterhält die höchsten Standards in Sachen Integrität und ethischen Geschäftsv­erhaltens“, erklärte der Konzern umgehend. Und Spiesshofe­r betont in einem Brief an seine Mitarbeite­r, dass er „jeden Stein umdrehen“werde, um den Fall restlos aufzukläre­n. Bei den Anlegern stieß der Verlust eines Managers und 100 Millionen Dollar am Mittwoch auf wenig bis gar keine Reaktionen. Der Aktienkurs blieb nahezu unveränder­t. (red.)

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[ Reuters ] ABB-Chef Ulrich Spiesshofe­r vermisst seinen Finanzdire­ktor in Südkorea - und 100 Millionen Dollar.

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