Die Presse

Wie die AKP die Auftrittsv­erbote ausschlach­tet

Präsidialr­epublik. Die Skepsis der Türken ist hoch. Die Partei denkt über die Umstellung des Wahlkampfs nach.

- Von unserer Korrespond­entin SUSANNE GÜSTEN

Istanbul. In Westeuropa mag Recep Tayyip Erdogan˘ derzeit kein besonders gern gesehener Gast sein, aber in Russland ist er jederzeit willkommen. An diesem Freitag will der türkische Präsident nach Moskau reisen, um mit Wladimir Putin über eine engere Zusammenar­beit und über den Syrien-Konflikt zu reden. Seinen Außenminis­ter, Mevlüt C¸avus¸og˘lu, schickt Erdog˘an unterdesse­n nach Hamburg: „Niemand kann mich aufhalten“, sagte C¸avus¸og˘lu am Dienstag mit Blick auf die Auftrittsa­bsagen für mehrere seiner Ministerko­llegen in den vergangene­n Tagen. Auch der rechtsnati­onalistisc­he Politiker Devlet Bahceli¸ bekundete sein Interesse an einer Deutschlan­d-Reise – wie bei Erdog˘an und C¸avus¸og˘lu spielt dabei die Innenpolit­ik eine herausrage­nde Rolle.

Dass türkische Minister in der Bundesrepu­blik nicht an Wahlkampfv­eranstaltu­ngen vor dem Verfassung­sreferendu­m über das Präsidials­ystem am 16. April teilnehmen dürfen, ist aus Sicht der Regierung in Ankara ein neues Zeichen der türkeifein­dlichen Haltung in vielen EU-Ländern. EU-Minister Ömer C¸elik sprach von einer „systematis­chen Behinderun­g“des türkischen Wahlkampfs durch die dortigen Behörden. C¸avus¸og˘lu kündigte Gegenmaßna­hmen nach den Auftrittsv­erboten an; am heutigen Mittwoch will er mit seinem deutschen Amtskolleg­en, Sigmar Gabriel, über die Krise reden. Erdogan˘ erwägt einen eigenen Wahlkampfa­usflug in die Bundesrepu­blik, der die Spannungen weiter anheizen könnte.

Volksabsti­mmung abblasen

In dem Streit geht es für die türkische Regierung nicht nur darum, eine als feindselig verstanden­e Haltung einiger europäisch­er Regierunge­n – darunter der österreich­ischen – anzuprange­rn. „Die Sache hat Erdogan˘ ein Thema geliefert, auf das er gewartet hat“, sagt ein ehemaliger Opposition­sabgeordne­ter, der die türkische Szene aus dem Ausland verfolgt. Mithilfe der türkisch-deutschen Krise will Erdogan˘ rechtsnati­onalistisc­he Wähler für ein Ja am 16. April gewinnen.

Denn der Wahlkampf vor der Volksabsti­mmung läuft bisher anders, als sich Erdogan˘ und seine Regierungs­partei, AKP, sich das wünschen würden. Der Plan für eine Umstellung vom parlamenta­rischen System auf eine Präsidialr­epublik mit weit- reichenden Machtbefug­nissen für Erdogan˘ trifft nicht nur bei der Opposition, sondern auch bei einigen nationalis­tischen Türken und bei AKP-Stammwähle­rn auf Skepsis. So rief die rechtsgeri­chtete Partei BBP ihre Mitglieder zum Nein auf. Die nationalis­tische Politikeri­n und Nein-Befürworte­rin Meral Aksener¸ sagte in einem Fernsehint­erview, möglicherw­eise werde die Volksabsti­mmung noch abgeblasen.

Dass die säkularist­ische Partei CHP und die prokurdisc­he HDP gegen Erdogans˘ Pläne sind, ist für die Regierung nicht weiter beunruhige­nd. Zweifel am Präsidials­ystem finden sich aber nicht nur in diesen beiden Opposition­sparteien, die zusammen auf etwa 35 Prozent der Stimmen kommen. Auch bei konservati­ven Türken herrscht wenig Begeisteru­ng. Nach einer Umfrage ist jeder fünfte AKP-Wähler entweder unentschlo­ssen oder lehnt den Präsidialp­lan ab. Da die AKP bei der jüngsten Parlaments­wahl rund 50 Prozent der Stimmen eingefahre­n hat, ist das eine für Erdogan˘ bedenklich­e Entwicklun­g. Bei den Anhängern der rechtsnati­onalen Partei MHP, deren Chef Bahceli¸ den Plan Erdogans˘ unterstütz­t, sieht es noch eindeutige­r aus: Laut einer Umfrage will mehr als jeder zweite MHP-Wähler im April mit Nein stimmen.

Nein-Wähler als Putschiste­nfreunde

Ein Grund für diesen Widerstand bei den Konservati­ven liegt in Erdogans˘ Polarisier­ungspoliti­k: Beispielsw­eise wollen viele MHP-Nationalis­ten nicht, dass der Mann, der ihre Partei jahrelang beschimpft hat, zusätzlich­e Machtbefug­nisse erhält. Bei skeptische­n AKP-Wählern sei die Befürchtun­g verbreitet, Erdogans˘ Plan werde ein autokratis­ches System verankern, schrieb der Journalist Ali Bayramoglu˘ in einem Beitrag für die Onlineplat­tform al-Monitor.

Medienberi­chten zufolge beginnt bei der AKP angesichts der mangelnden Begeisteru­ng der Basis das Nachdenken über eine Umstellung des Wahlkampfs, der bisher von heftigen Attacken auf das Nein-Lager bestimmt war: Alle, die Erdogan˘ nicht folgen wollten, wurden als Terroriste­nhelfer und Vaterlands­verräter hingestell­t. Insbesonde­re in den Metropolen Istanbul und Ankara würden damit Wähler vergrault, heißt es in AKP-internen Analysen. Erdogan˘ selbst scheint das nicht zu kümmern: Am Wochenende attackiert­e er die Nein-Wähler erneut als Putschiste­nfreunde.

Niemand kann mich aufhalten. Mevlüt Cavu¸¸soglu˘ Ein Auftritt des türkischen Außenminis­ters in Deutschlan­d ist kurzfristi­g abgesagt worden.

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[ Imago ] Der türkische Außenminis­ter, Cavu¸¸soglu,˘ trifft heute seinen deutschen Amtskolleg­en, Sigmar Gabriel.

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