Die Presse

Wer entscheide­t, wann eine Rede noch in Ordnung ist?

Österreich soll nicht Schauplatz ausländisc­her Wahlkämpfe sein. Doch die Versammlun­gsfreiheit leichtfert­ig einzuschrä­nken birgt auch viele Gefahren.

- Mehr zum Thema: E-Mails an: philipp.aichinger@diepresse.com Seite 1

T ear down this wall!“, rief Ronald Regan in Richtung Michail Gorbatscho­ws, als der US-Präsident 1987 eine Rede vor der Berliner Mauer hielt. Es war eine politische Rede eines ausländisc­hen Staatsmann­es. Eine, die auch im Interesse der Bundesrepu­blik Deutschlan­d lag, aber auch eine, die Reagan hielt, um beim USPublikum Gutpunkte zu sammeln. 2013 sprach dann Barack Obama von Tausenden Zusehern bejubelt in Berlin. Fälle, die zeigen, dass man Reden ausländisc­her Politiker nicht generell verbieten sollte.

Wenn nun der türkische Staatspräs­ident, Recep Tayyip Erdogan,˘ oder seine Minister in Deutschlan­d oder Österreich eine Rede halten wollen, werden aber Verbote angedacht. Der wesentlich­e Unterschie­d zu Reagan und Obama ist freilich, dass es Erdogan˘ nur darum geht, vor seinen in Österreich lebenden Landsleute­n zu sprechen. Aber wie soll man ein Verbot von Reden ausländisc­her Politiker juristisch fassen? Soll man diese Reden etwa nur in Wahlkampfz­eiten untersagen?

Tatsächlic­h sollte es nicht sein, dass auf österreich­ischem Boden Wahlkämpfe anderer Länder ausgetrage­n werden. Doch wie definiert man für jeden Staat, wann dort der Wahlkampf beginnt? Und selbst wenn man einen Stichtag festlegt, könnten ausländisc­he Politiker kurz davor eine Wahlkampfr­ede in Österreich halten. Eine bloß temporäre Beschränku­ng der Redefreihe­it scheint also nicht sinnvoll. I nnenminist­er Wolfgang Sobotka verfolgt auch einen anderen Ansatz. Er will Veranstalt­ungen untersagen, wenn dies „dem Schutz der in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) liegenden Menschen- und Grundrecht­e dient“oder „wenn die öffentlich­e Ordnung und innere Sicherheit gefährdet sind“. Wenn die öffentlich­e Ordnung und innere Sicherheit gefährdet sind, können und sollen freilich schon jetzt Versammlun­gen verboten werden. Neu wäre also höchstens, dass man Veranstalt­ungen untersagen kann, wenn dies dem Schutz der in der EMRK verbriefte­n Grundrecht­e dient. Nur wie stellt man das fest? Gegen die EMRK verstoßen Staaten öfter, auch Österreich wurde trotz seines ausgeprägt­en Rechtsstaa­tes wiederholt in Straßburg verurteilt. Umgekehrt kann ein ausländisc­her Herrscher, der zu Hause Grundrecht­e nachhaltig missachtet, eine Veranstalt­ung in Österreich auch so abhalten, dass seine hier gehaltene Rede die Grundrecht­e nicht konkret gefährdet. Soll er dann sprechen dürfen? Und soll das Redeverbot nur für Erdogan˘ gelten, während die türkische Opposition sehr wohl Wahlkampf in Österreich machen können soll? Und wäre das dann fair? F ür Sobotka ist klar, wer diese schwierige­n Fragen klären soll. Die Regierung und hier vorrangig Innen- und Außenminis­ter. Ähnlich also wie bei einem anderen, kürzlich veröffentl­ichten Entwurf Sobotkas, laut dem der Innenminis­ter festlegen können soll, dass an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten Versammlun­gen verboten sind. Und zwar, um so einen übermäßige­n Eingriff in berechtigt­e Interessen anderer (etwa von Geschäftsl­euten) hintanzuha­lten.

Der Regierung Instrument­e in die Hand zu geben, mit denen sie Veranstalt­ungen leicht untersagen kann, ist aber ein gefährlich­es Spiel. Denn man weiß nie, ob nicht auch hierzuland­e irgendwann einmal jemand an die Macht kommt, der diese Instrument­e dann anwendet, um politische Proteste im Keim zu ersticken. So etwas kann schnell gehen, wie das Beispiel Türkei zeigt. W enn man also weitere Restriktio­nen beim Versammlun­gsrecht einführen will, dann sollten Verbote besser von einem Gericht verhängt oder zumindest im Schnellver­fahren von diesem überprüft werden können. Denn die Regierung eines Staates ist nicht immer der beste Wächter über die Grundrecht­e.

Zudem muss man, wenn nun immer weitere Ideen für Verbote missliebig­er Versammlun­gen kommen, eines im Hinterkopf behalten. Auch in Österreich soll es Politiker geben, die sich im Vorfeld möglicher Wahlen einfach nur profiliere­n wollen. Das sensible Versammlun­gsrecht ist dafür aber ein denkbar schlechter Platz.

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VON PHILIPP AICHINGER

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