Wer entscheidet, wann eine Rede noch in Ordnung ist?
Österreich soll nicht Schauplatz ausländischer Wahlkämpfe sein. Doch die Versammlungsfreiheit leichtfertig einzuschränken birgt auch viele Gefahren.
T ear down this wall!“, rief Ronald Regan in Richtung Michail Gorbatschows, als der US-Präsident 1987 eine Rede vor der Berliner Mauer hielt. Es war eine politische Rede eines ausländischen Staatsmannes. Eine, die auch im Interesse der Bundesrepublik Deutschland lag, aber auch eine, die Reagan hielt, um beim USPublikum Gutpunkte zu sammeln. 2013 sprach dann Barack Obama von Tausenden Zusehern bejubelt in Berlin. Fälle, die zeigen, dass man Reden ausländischer Politiker nicht generell verbieten sollte.
Wenn nun der türkische Staatspräsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ oder seine Minister in Deutschland oder Österreich eine Rede halten wollen, werden aber Verbote angedacht. Der wesentliche Unterschied zu Reagan und Obama ist freilich, dass es Erdogan˘ nur darum geht, vor seinen in Österreich lebenden Landsleuten zu sprechen. Aber wie soll man ein Verbot von Reden ausländischer Politiker juristisch fassen? Soll man diese Reden etwa nur in Wahlkampfzeiten untersagen?
Tatsächlich sollte es nicht sein, dass auf österreichischem Boden Wahlkämpfe anderer Länder ausgetragen werden. Doch wie definiert man für jeden Staat, wann dort der Wahlkampf beginnt? Und selbst wenn man einen Stichtag festlegt, könnten ausländische Politiker kurz davor eine Wahlkampfrede in Österreich halten. Eine bloß temporäre Beschränkung der Redefreiheit scheint also nicht sinnvoll. I nnenminister Wolfgang Sobotka verfolgt auch einen anderen Ansatz. Er will Veranstaltungen untersagen, wenn dies „dem Schutz der in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) liegenden Menschen- und Grundrechte dient“oder „wenn die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit gefährdet sind“. Wenn die öffentliche Ordnung und innere Sicherheit gefährdet sind, können und sollen freilich schon jetzt Versammlungen verboten werden. Neu wäre also höchstens, dass man Veranstaltungen untersagen kann, wenn dies dem Schutz der in der EMRK verbrieften Grundrechte dient. Nur wie stellt man das fest? Gegen die EMRK verstoßen Staaten öfter, auch Österreich wurde trotz seines ausgeprägten Rechtsstaates wiederholt in Straßburg verurteilt. Umgekehrt kann ein ausländischer Herrscher, der zu Hause Grundrechte nachhaltig missachtet, eine Veranstaltung in Österreich auch so abhalten, dass seine hier gehaltene Rede die Grundrechte nicht konkret gefährdet. Soll er dann sprechen dürfen? Und soll das Redeverbot nur für Erdogan˘ gelten, während die türkische Opposition sehr wohl Wahlkampf in Österreich machen können soll? Und wäre das dann fair? F ür Sobotka ist klar, wer diese schwierigen Fragen klären soll. Die Regierung und hier vorrangig Innen- und Außenminister. Ähnlich also wie bei einem anderen, kürzlich veröffentlichten Entwurf Sobotkas, laut dem der Innenminister festlegen können soll, dass an bestimmten Orten zu bestimmten Zeiten Versammlungen verboten sind. Und zwar, um so einen übermäßigen Eingriff in berechtigte Interessen anderer (etwa von Geschäftsleuten) hintanzuhalten.
Der Regierung Instrumente in die Hand zu geben, mit denen sie Veranstaltungen leicht untersagen kann, ist aber ein gefährliches Spiel. Denn man weiß nie, ob nicht auch hierzulande irgendwann einmal jemand an die Macht kommt, der diese Instrumente dann anwendet, um politische Proteste im Keim zu ersticken. So etwas kann schnell gehen, wie das Beispiel Türkei zeigt. W enn man also weitere Restriktionen beim Versammlungsrecht einführen will, dann sollten Verbote besser von einem Gericht verhängt oder zumindest im Schnellverfahren von diesem überprüft werden können. Denn die Regierung eines Staates ist nicht immer der beste Wächter über die Grundrechte.
Zudem muss man, wenn nun immer weitere Ideen für Verbote missliebiger Versammlungen kommen, eines im Hinterkopf behalten. Auch in Österreich soll es Politiker geben, die sich im Vorfeld möglicher Wahlen einfach nur profilieren wollen. Das sensible Versammlungsrecht ist dafür aber ein denkbar schlechter Platz.