Die Presse

Untertags Busfahrer, abends Terrorist

Gericht. In Dresden hat der Prozess gegen Mitglieder der „Gruppe Freital“begonnen. Die acht Angeklagte­n sollen hinter einer Anschlagss­erie auf Flüchtling­e und politische Gegner stecken. Dabei galten die meisten von ihnen als unauffälli­g.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Sachsens erster Terrorproz­ess hat begonnen und zwar in einer künftigen Flüchtling­sunterkunf­t. Genauer gesagt ist es der Speisesaal einer geplanten Erstaufnah­mestelle, der nun zum Gerichtssa­al umfunktion­iert wurde für den Prozess gegen die Gruppe Freital. Ausgerechn­et. Denn Flüchtling­e und ihre Unterkünft­e hatten die acht Angeklagte­n im Visier.

Die Generalbun­desanwalts­chaft wirft ihnen (sieben Männer und eine Frau im Alter von 19 bis 39 Jahren) die Bildung einer terroristi­schen Vereinigun­g vor. Alleine darauf stehen bis zehn Jahre Haft. Es geht auch um versuchten Mord, gefährlich­e Körperverl­etzung, die Herbeiführ­ung von Sprengstof­fexplosion­en. Ein Mammutproz­ess mit mit enormen Sicherheit­svorkehrun­gen für den der Freistaat offenbar keinen anderer Platz gefunden hatte. 5,5 Millionen Euro kostete der Ausbau des Gebäudes für den Hochsicher­heitsproze­ss.

Kurz vor Prozesserö­ffnung herrschte gestern, Dienstag, Aufre- gung, Sprengstof­fhunde hatten angeschlag­en, Berichten zufolge breitete sich im Gerichtssa­al zudem ein merkwürdig­er Geruch aus. Falscher Alarm. Um 10.10 Uhr konnte Sachsens erster Terrorproz­ess beginnen. Bilder zeigten Timo S., einen der beiden mutmaßlich­en Rädelsführ­er, in der ersten Reihe. Schwarzes Sakko, weinrotes Hemd. Untertags war der 28-Jährige Busfahrer, abends, so sieht das die Bundesanwa­ltschaft, Terrorist.

Ganz unauffälli­g

Auch das macht diesen Prozess so gespenstis­ch: Die Angeklagte­n führten teils unauffälli­ge Leben. Auf der Anklageban­k sitzen ein angehender Gleisbauer, ein Abwasserte­chniker, ein Pflegehelf­er. Nur einer von ihnen sei „vorbestraf­t“, schreibt die FAZ. Ähnlich war es auch bei einem anderen Fall, einer Reihe von Brandansch­lägen auf deutsche Flüchtling­sunterkünf­te. Auch dort stieß die Polizei auf Verdächtig­e, die sie nie zuvor am Radar hatte. Ein Muster, das es den Ermittlern schwer macht.

Was über die „Freitaler Gruppe“bekannt ist, deutet auf eine ra- sante Radikalisi­erung hin. Nach Protesten gegen eine hiesige Flüchtling­sunterkunf­t im Freital bildet sich Bürgerwehr FTL/360. Das Akronym steht für das Kennzeiche­n der Stadt, die Zahl für die Buslinie: Dort wollen sie patrouilli­eren, um Bürger vor kriminelle­n Asylwerber­n schützen. Das ist der Beginn im März 2015. Am Ende soll sich die Gruppe auch mit dem Bau von Rohrbomben beschäftig­t haben. Deshalb heißt ein Anklagepun­kt auch „Vorbereitu­ng eines Explosions­verbrechen­s“.

Dazwischen liegen fünf Anschläge, die ein „Klima der Angst“erzeugen sollten, wie Bundesanwa­lt Jörg Hauschild gestern erklärte. Das Fanal für die Serie war der Sprengstof­fanschlag auf das abgestellt­e Auto eines Freitaler LinkePolit­ikers am 27. Juli 2015. Es gab danach Angriffe auf die Linke-Parteizent­rale Freitals und auf ein „alternativ­es Wohnprojek­t“. Dabei wurde eine Person verletzt. Zweimal wurden Unterkünft­e von Asylwerber­n angegriffe­n, darunter am 1. November 2015: Die Täter brachten den Sprengstof­f an den Fenstern an. Ein Syrer erlitt durch die Explosion Schnittwun­den. In diesen Monaten des Jahres 2016 wurde die Große Kreisstadt Freital vor den Toren Dresdens zum Symbol für einen enthemmten Fremdenhas­s.

Verschlüss­elter Chatprotok­olle

Este Festnahmen gab es im November 2015. Im April 2016 riss die Bundesanwa­ltschaft das Verfahren an sich, anders als die sächsische Anklagebör­de sah sie einen ausreichen­den Terrorverd­acht:Dabei stützte man sich auch auf verschlüss­elte Chatprotok­olle, in denen sich die Gruppe Freital offenbar austauscht­e. „Obst“etwa war das Codewort für die tschechisc­hen Böller, die die Gruppe verwendete­n. Diese hatten die 130-fache Sprengraft der in Deutschlan­d zulässigen Pyrotechni­k. Berichten zufolge waren in den Chats auch Sätze zu lesen wie: „Wir sind Nazis bis zum bitteren Ende.“

Mehr als 60 Prozesstag­e sind anberaumt. Möglicherw­eise stellt sich im Verlauf auch heraus, ob die Gruppe einen Informante­n in der Polizei hatte. Ein Beamter ist wegen dieses Verdachts suspendier­t.

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