Kindermord vor laufender Kamera
Deutschland. Der Fall sorgt in der Bundesrepublik für Entsetzen: Ein 19-Jähriger erstach einen Nachbarsbuben. Danach brüstete er sich im Internet mit der Tat, lud Fotos und ein Video hoch.
Berlin/Hernes. Mordermittler haben schon viel gesehen. Aber an diesem Dienstag „waren sie fassungslos“, wie Nordrhein-Westfalens Innenminister Ralf Jäger mitteilte. Er selbst könne sich an keinen vergleichsweisen Fall erinnern, bei dem der Täter „den Mord filmt und veröffentlicht“. Denn genau das war geschehen, in Herne, einer 155.000 Einwohner-Stadt im Ruhrgebiet. Als Jäger spricht, ist der Mörder des neunjährigen Buben noch auf der Flucht. Spürhunde durchkämmen die Gegend, Hubschrauber kreisen. Die Fahndung erstreckt sich über das gesamte Ruhrgebiet. Alles sucht nach dem 19-jährigen Marcel H., dem mutmaßlichen Kindermörder, der im sogenannten „Darknet“, einem abgeschirmten Bereich des Internets, mit der Bluttat geprahlt, Bilder und ein Video hochgeladen hat.
Durch diese Bilder kam die Polizei dem Verbrechen erst auf die Spur: Ein „Darknet“-Nutzer hatte sie alarmiert. Er soll H. und den Tatort, eine Reihenhausanlage, erkannt haben. Am Montag, gegen 20.30 Uhr dann fanden Polizisten den Neunjährigen im Keller des Hauses von H. Er wurde erstochen. Der Bub und sein Mörder lebten „Tür an Tür“, wie die Polizei später mitteilte.
Nach und nach dringt an die Öffentlichkeit, wie perfid der 19-Jährige vorging: Vor und nach der Tat hatte er im „Darknet“gechattet, wie mehrere deutsche Medien berichteten. Demnach schrieb er zunächst, dass er vom Rotwein betrunken sei und äußerte Suizidgedanken. Nach der Bluttat lud H. ein Video hoch, über dessen Inhalt die Ermittler zunächst nichts sagen wollten. H. veröffentlichte auch Bilder. Sie zeigen ihn mit Brille und kurzrasierten blonden Haaren. Den Kampfsportler, der er nach Angaben der Polizei ist, sieht man ihm nicht an. Auf einer Aufnahme grinst der 19-Jährige in die Kamera und hält dabei ein blutverschmiertes Messer in der Hand, mit dem er den Buben ermordet hat. Vor allem aber soll er in dem Chat auch eine weitere Tat angedeutet haben. Die Polizei jedenfalls warnt vor dem 19-Jährigen.
Die Polizei zeichnete gestern das Bild eines Außenseiters, der wenig soziale Kontakte pflegte. Zuletzt war H. arbeitslos. Mit dem Gesetz kam der 19-Jährige noch nicht in Konflikt: Er sei „absolut unvorbelastet“, teilte die Polizei mit. H. sei 1,75 Meter groß und trage möglicherweise Tarnkleidung, so die Polizei. Wer den 19-Jährigen sieht, soll ihn nicht ansprechen.
Die dunkle Seite des Internet
Der Fall wirft erneut ein Schlaglicht auf das „Darknet“, also jenen Teil des Internets, zu dem sich Nutzer über eine Anonymisierungssoftware Zugang verschaffen. Und davon machen eben auch Kriminelle Gebrauch. Im Schutz der Anonymität betreiben sie illegale Waffen- oder Drogengeschäfte. Zugleich schützt das Darknet aber auch Unbescholtene, die ihre Privatsphäre wahren wollen oder politisch Verfolgte.
Es dauerte übrigens nicht lang, bis die blutigen Bilder aus dem „Darknet“im frei zugänglichen Bereich des Internets auftauchten. Nordrhein-Westfalens Innenminister appellierte jedenfalls, das Video nicht weiterzuverbreiten. Er tat das sicher aus Rücksicht auf die Angehörigen. Aber wohl auch wegen Nachahmergefahr.