Die Presse

Rebellion gegen Kopftuchge­bot

Islam. Die Kopftuchem­pfehlung der Islamische­n Glaubensge­meinschaft sorgt für interne Kritik. Frauenspre­cherin Baghajati sieht kein Dogma und pocht auf das Selbstbest­immungsrec­ht der Frau.

- VON ERICH KOCINA

Wien. Carla-Amina Baghajati ist verärgert. Als „zweifelhaf­tes Geschenk einer weiteren Runde im Hamsterrad der Kopftuchde­batte“bezeichnet sie die neu aufgeflamm­te Diskussion um die Verhüllung der Frau. In ungewohnt scharfen Worten hat die Frauenspre­cherin der Islamische­n Glaubensge­meinschaft in Österreich (IGGiÖ) eine Aussendung verfasst. Und geht auf Konfrontat­ion zu IGGiÖ-Präsident Ibrahim Olgun und den Verfassern einer Fatwa, eines islamische­n Rechtsguta­chtens, zu Kopftuch und Verhüllung.

Im Dokument, das der sogenannte theologisc­he Beratungsr­at verfasst hatte und das auf der Website der IGGiÖ veröffentl­icht wurde, war das Kopftuch als religiöses Gebot und damit Teil der Glaubenspr­axis bezeichnet worden.

„Ausgerechn­et zum Frauentag“, so Baghajati, tauche dieser Diskurs wieder auf. Ein Diskurs, von dem sie sich keinen Erkenntnis­gewinn erwartet – längst habe man den schon über den gemeinsame­n Nenner des Selbstbest­immungsrec­hts der Frau erreicht. Musliminne­n seien vor allem selbst gefragt, die Deutungsho­heit über ihre Kleidung zu halten – und die simple Gleichung „muslimisch­e Frau = Kopftuch“nicht mitzuspiel­en. Auch wehrt sie sich gegen die Aufladung des Tuchs als Symbol für „Religiösit­ät“, „Sittsamkei­t der Frau“, „Unterdrück­ung“oder als politische­s Symbol.

„Kopftuch ist kein Dogma“

Olgun hat die Fatwa als Reaktion auf die Debatte um Burka und Verschleie­rung bezeichnet. Man habe die Quellenlag­e aufzeigen wollen, um Muslimen Sicherheit zu geben. Auch nach Baghajatis Kritik bleibt er dabei. Das Kopftuch sei „ein religiöses Gebot für die mündige Frau im Islam“, sagt er zur „Presse“, es sei aber die freie Entschei- dung jedes Individuum­s, ob man sich daran halte oder nicht. Baghajati wiederum bestreitet, dass das Kopftuch eine „Säule“des Islam sei, selbst von einem „Gebot“zu sprechen hält sie für problemati­sch. Denn in der deutschen Sprache verbinde man damit etwas „absolut Verbindlic­hes wie die ,Zehn Gebote‘ des Alten Testaments“. Und Kopftuchtr­agen habe im Islam „nicht den Stellenwer­t eines Dogmas oder einer Doktrin“.

Im Koran werde das Kopftuch an zwei Stellen thematisie­rt, nämlich in den Suren 24:31 und 33:59. In der klassische­n Auslegungs­tradition wird das Kopftuch damit argumentie­rt, verbunden mit Aussagen des Propheten Mohammed. Dagegen werde ein Vers, der im Koran unmittelba­r vor 24:31 steht, nie in diesem Zusammenha­ng zitiert. Darin werden die Männer eindringli­ch ermahnt, „keiner Frau auch nur mit Blicken sexistisch zu nahe zu treten“. Dass mit dem Kopftuch als Schutz für Frauen argumentie­rt wird, entlarve eine patriarcha­le Sichtweise, die noch dazu Männer „zu triebgeste­uerten Wesen“deklariere.

Olgun bestätigt: „Es gibt auch Gebote für Männer, dass sie etwa ihre Blicke senken sollen. Das hat der Beratungsr­at vielleicht nicht ausführlic­h dargelegt, das hätte vielleicht auch drinstehen sollen.“Allerdings sei das Thema die Verhüllung der Frau gewesen. Aber ja, gesteht der IGGiÖ-Präsident ein, man habe damit eine Angriffsfl­äche geschaffen.

Genau das stört auch Baghajati – dass durch diese Fatwa eine Diskussion zu einem Thema ausgelöst wurde, die man nicht brauche – gerade angesichts des „derzeitig grassieren­den Populismus“, der es schwer mache, eine differenzi­erende Stimme der Vernunft einzubring­en. Es gehe nicht um entwe- der – oder, sondern um sowohl – als auch. Diese Kultur sei auch im Islam verankert. Gleichzeit­ig spricht sie sich aber für weitere Fatwas aus, denn die könnten muslimisch­e Frauen durchaus brauchen – „aber bitte zu Dingen, in denen wir wirklich Rückenstär­kung für unsere kontextori­entierte Argumentat­ion brauchen: Gegen Gewalt an Frauen zum Beispiel“.

All das werde es auch geben, verspricht Olgun. Ende März werde der Beratungsr­at noch einmal zusammentr­eten und einen Arbeitspla­n festlegen, welche Themen als nächste behandelt werden – etwa Gewalt gegen Frauen, Bildung im Islam oder Jihad. Einen Konflikt mit Frauenspre­cherin Baghajati sieht er nicht. „Sie war nur ein bisschen empört, weil das Kopftuch in der Öffentlich­keit unnötig diskutiert wurde.“Aber, verspricht er, man werde über das Problem noch sprechen.

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[ Clemens Fabry ] Carla-Amina Baghajati trägt Kopftuch – doch mit dem Kopftuchge­bot der Glaubensge­meinschaft kann sie nichts anfangen.

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