Rebellion gegen Kopftuchgebot
Islam. Die Kopftuchempfehlung der Islamischen Glaubensgemeinschaft sorgt für interne Kritik. Frauensprecherin Baghajati sieht kein Dogma und pocht auf das Selbstbestimmungsrecht der Frau.
Wien. Carla-Amina Baghajati ist verärgert. Als „zweifelhaftes Geschenk einer weiteren Runde im Hamsterrad der Kopftuchdebatte“bezeichnet sie die neu aufgeflammte Diskussion um die Verhüllung der Frau. In ungewohnt scharfen Worten hat die Frauensprecherin der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ) eine Aussendung verfasst. Und geht auf Konfrontation zu IGGiÖ-Präsident Ibrahim Olgun und den Verfassern einer Fatwa, eines islamischen Rechtsgutachtens, zu Kopftuch und Verhüllung.
Im Dokument, das der sogenannte theologische Beratungsrat verfasst hatte und das auf der Website der IGGiÖ veröffentlicht wurde, war das Kopftuch als religiöses Gebot und damit Teil der Glaubenspraxis bezeichnet worden.
„Ausgerechnet zum Frauentag“, so Baghajati, tauche dieser Diskurs wieder auf. Ein Diskurs, von dem sie sich keinen Erkenntnisgewinn erwartet – längst habe man den schon über den gemeinsamen Nenner des Selbstbestimmungsrechts der Frau erreicht. Musliminnen seien vor allem selbst gefragt, die Deutungshoheit über ihre Kleidung zu halten – und die simple Gleichung „muslimische Frau = Kopftuch“nicht mitzuspielen. Auch wehrt sie sich gegen die Aufladung des Tuchs als Symbol für „Religiösität“, „Sittsamkeit der Frau“, „Unterdrückung“oder als politisches Symbol.
„Kopftuch ist kein Dogma“
Olgun hat die Fatwa als Reaktion auf die Debatte um Burka und Verschleierung bezeichnet. Man habe die Quellenlage aufzeigen wollen, um Muslimen Sicherheit zu geben. Auch nach Baghajatis Kritik bleibt er dabei. Das Kopftuch sei „ein religiöses Gebot für die mündige Frau im Islam“, sagt er zur „Presse“, es sei aber die freie Entschei- dung jedes Individuums, ob man sich daran halte oder nicht. Baghajati wiederum bestreitet, dass das Kopftuch eine „Säule“des Islam sei, selbst von einem „Gebot“zu sprechen hält sie für problematisch. Denn in der deutschen Sprache verbinde man damit etwas „absolut Verbindliches wie die ,Zehn Gebote‘ des Alten Testaments“. Und Kopftuchtragen habe im Islam „nicht den Stellenwert eines Dogmas oder einer Doktrin“.
Im Koran werde das Kopftuch an zwei Stellen thematisiert, nämlich in den Suren 24:31 und 33:59. In der klassischen Auslegungstradition wird das Kopftuch damit argumentiert, verbunden mit Aussagen des Propheten Mohammed. Dagegen werde ein Vers, der im Koran unmittelbar vor 24:31 steht, nie in diesem Zusammenhang zitiert. Darin werden die Männer eindringlich ermahnt, „keiner Frau auch nur mit Blicken sexistisch zu nahe zu treten“. Dass mit dem Kopftuch als Schutz für Frauen argumentiert wird, entlarve eine patriarchale Sichtweise, die noch dazu Männer „zu triebgesteuerten Wesen“deklariere.
Olgun bestätigt: „Es gibt auch Gebote für Männer, dass sie etwa ihre Blicke senken sollen. Das hat der Beratungsrat vielleicht nicht ausführlich dargelegt, das hätte vielleicht auch drinstehen sollen.“Allerdings sei das Thema die Verhüllung der Frau gewesen. Aber ja, gesteht der IGGiÖ-Präsident ein, man habe damit eine Angriffsfläche geschaffen.
Genau das stört auch Baghajati – dass durch diese Fatwa eine Diskussion zu einem Thema ausgelöst wurde, die man nicht brauche – gerade angesichts des „derzeitig grassierenden Populismus“, der es schwer mache, eine differenzierende Stimme der Vernunft einzubringen. Es gehe nicht um entwe- der – oder, sondern um sowohl – als auch. Diese Kultur sei auch im Islam verankert. Gleichzeitig spricht sie sich aber für weitere Fatwas aus, denn die könnten muslimische Frauen durchaus brauchen – „aber bitte zu Dingen, in denen wir wirklich Rückenstärkung für unsere kontextorientierte Argumentation brauchen: Gegen Gewalt an Frauen zum Beispiel“.
All das werde es auch geben, verspricht Olgun. Ende März werde der Beratungsrat noch einmal zusammentreten und einen Arbeitsplan festlegen, welche Themen als nächste behandelt werden – etwa Gewalt gegen Frauen, Bildung im Islam oder Jihad. Einen Konflikt mit Frauensprecherin Baghajati sieht er nicht. „Sie war nur ein bisschen empört, weil das Kopftuch in der Öffentlichkeit unnötig diskutiert wurde.“Aber, verspricht er, man werde über das Problem noch sprechen.