Die Presse

Ein „Frauentag“von Lenins Gnaden

8. März. Vor 100 Jahren kamen die Bolschewik­en an die Macht – mit dem Datum des Internatio­nalen Frauentags ehren wir sie indirekt bis heute: Vom 8. März als Nichtgeden­ktag und frühen, bald verspielte­n Frauenrech­ten.

- VON ANNE-CATHERINE SIMON

Brot!“Was man heute gern als Beginn der Russischen Revolution sieht – der Tag, als die Arbeiterfr­auen in St. Petersburg, damals Petrograd, streikten und auf die Straße marschiert­en –, begann nicht mit politische­n Parolen, sondern mit dem einen Wort: „Brot!“Es war das dritte Jahr Krieg, die Lebensmitt­elpreise waren horrend gestiegen, schon im Jänner hatte fast die Hälfte der Arbeitersc­haft in Petrograd demonstrie­rt. „Brot!“, skandierte­n die protestier­enden Frauen, als sie durch die russische Hauptstadt zogen, allmählich erst kamen „Schluss mit dem Krieg“und „Nieder mit der Autokratie“dazu, man sang die Marseillai­se, plünderte Geschäfte. Männer schlossen sich an – noch am selben Tag war der Frauenprot­est zum Protest des „Proletaria­ts“geworden.

Es war nicht der 8. März, zumindest nicht für Russland; nach dem damals dort gültigen julianisch­en Kalender war es der 23. Februar. Ein Jahr später führten die Bolschewik­en den gregoriani­schen Kalender ein, und 1921 erklärten sie den 8. März zum Frauentag.

Diesen feiern wir heute auch, und große Teile der Welt – ohne groß an den historisch­en Anlass zu denken. Der 8. März hat sich einfach als Tag der Frau eingebürge­rt, nicht zuletzt, weil die Vereinten Nationen das Datum übernahmen: für ihren Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfriede­n. Und das, obwohl die UNO damals alle möglichen Daten zur Auswahl gehabt hätte. Auch der Internatio­nale Frauentag selbst existierte nämlich schon ein Jahrzehnt, bevor die Bolschewik­en den 8. März als Gedenktag einführten – und fand bis dahin an unterschie­dlichsten Tagen statt.

Anfangs dachte man an den März 1848

Die Deutsche Clara Zetkin hatte 1910 bei der Zweiten Internatio­nalen Sozialisti­schen Konferenz einen Internatio­nalen Frauentag vorgeschla­gen und damit eine Idee US-amerikanis­cher Sozialisti­nnen aufgegriff­en. 1911 wurde er zum ersten Mal gefeiert, am 19. März – man wollte an den 18. März anknüpfen, den Gedenktag für die Gefallenen der Märzrevolu­tion 1848, und an den Beginn der Pariser Kommune im März 1871. Das Datum variierte in den kommenden Jahren – bis 1921. Mit den russischen Frauenprot­esten hatte man nun endlich ein Ereignis, das symbolisch den Sozialismu­s mit der „Frauenfrag­e“verband – der 8. März wurde zur Norm.

Dass Frauen eine besondere Rolle zu Beginn der Russischen Revolution gespielt hätten, lobte schon die Zeitung „Prawda“eine Woche nach dem Frauenstre­ik: Frauen seien die Ersten gewesen, die in Petrograd auf die Straße gegangen seien. Aber wie sehr ging es bei den russischen Arbeiterin­nenprotest­en am 8. März beziehungs­weise am 23. Februar 1917 um die „Sache der Frauen“? Bei dem legendären Frauenmars­ch der Französisc­hen Revolution, dem der Pariser Marktfraue­n zum König nach Versailles an einem Herbsttag 1789, ist es eindeutig: Sie verlangten keine Frauenrech­te, sondern Brot und Macht dem Volk. Für diese legendär gewordenen „Poissarden“(„Fischweibe­r“) spielte das Geschlecht keinerlei Rolle, es ging um die Rechte des „Volkes“.

Auch die Arbeiterin­nen in St. Petersburg protestier­ten nicht in erster Linie als Frauen, sondern als Angehörige des Proletaria­ts; allerdings trugen hier die seit Jahren sehr aktiven Frauenrech­tsorganisa­tionen viel zur Mobilisier­ung bei. Sie waren auch deswegen erfolgreic­h, weil der Krieg die Frauen in ihrem Selbstbewu­sstsein gestärkt hatte: Nach zweieinhal­b Jahren Krieg, in denen die Männer an der Front oder umgekommen waren, versorgten hauptsächl­ich sie die Familien und ersetzten die Männer in den Fabriken.

Recht auf gleiche Bezahlung, Scheidung, Abtreibung, Recht, über das eigene Einkommen zu verfügen, staatliche Kinderbetr­euung etc.: Die ersten zwei Jahre nach Beginn der Russischen Revolution scheinen Frauen umstandslo­s großartige Gesetze gebracht zu haben. Tatsächlic­h waren sie – sofern sie nicht ohnehin den Interessen der bolschewis­tischen Diktatur dienten, wie der Zerschlagu­ng der Familie – hart erkämpft, von Frauenorga­nisationen wie der Russischen Liga für die Gleichbere­chtigung der Frauen, von wichtigen Aktivistin­nen wie der Lenin-Geliebten Inessa Armand, Lenins Ehefrau Nadezhda Krupskaya oder der St. Petersburg­er Generalsto­chter und Vorkämpfer­in der freien Liebe, Alexandra Kollonai. Als 1919 die Soldaten aus dem Krieg kamen, sollten die Frauen den Männern die Arbeitsplä­tze überlassen – nur die Frauenabte­ilung der KP konnte durchsetze­n, dass das Geschlecht bei der Besetzung keine Rolle spielte.

„Gelöste Frauenfrag­e“– seit Stalin?

Aber die höheren Schutzbedi­ngungen (wie Achtstunde­ntag oder Nachtarbei­tsverbot) machten Frauen teurer, sie wurden eher arbeitslos, wieder abhängiger von den Männern. Kommunale Einrichtun­gen wie Speiseund Kinderhäus­er, die sie entlastet hatten, wurden wieder abgeschaff­t. Und Gesetze wie das zur leichteren Scheidung schadeten den Frauen mehr, als ihnen zu nutzen. Stalin nahm dann ohnehin die meisten zurück, löste die Frauenabte­ilung der Partei auf und erklärte die „Frauenfrag­e“im Land ebenfalls für gelöst. Heute ist der 8. März in Russland ein arbeitsfre­ier Feiertag. „Da nach der Oktoberrev­olution 1917 alle laut Bolschewis­ten gleichbere­chtigt waren, brauchten Frauen nicht mehr um ihre Rechte zu kämpfen“, erfährt man heute auf der deutschspr­achigen Russland-Informatio­nsseite russlandjo­urnal.de. So sei der 8. März zum schönen Feiertag geworden, er habe „nichts mit dem Kampf der Feministen zu tun“, sei eine „Mischung aus Valentins- und Muttertag“. Egal, wo der Gedenktag gefeiert wird: Er ist auch ein Tag des eklatanten Nichtgeden­kens.

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[ Archiv ] „Befreite Frau, bau den Sozialismu­s!“Plakat aus der Zeit der Russischen Revolution.

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