Ein „Frauentag“von Lenins Gnaden
8. März. Vor 100 Jahren kamen die Bolschewiken an die Macht – mit dem Datum des Internationalen Frauentags ehren wir sie indirekt bis heute: Vom 8. März als Nichtgedenktag und frühen, bald verspielten Frauenrechten.
Brot!“Was man heute gern als Beginn der Russischen Revolution sieht – der Tag, als die Arbeiterfrauen in St. Petersburg, damals Petrograd, streikten und auf die Straße marschierten –, begann nicht mit politischen Parolen, sondern mit dem einen Wort: „Brot!“Es war das dritte Jahr Krieg, die Lebensmittelpreise waren horrend gestiegen, schon im Jänner hatte fast die Hälfte der Arbeiterschaft in Petrograd demonstriert. „Brot!“, skandierten die protestierenden Frauen, als sie durch die russische Hauptstadt zogen, allmählich erst kamen „Schluss mit dem Krieg“und „Nieder mit der Autokratie“dazu, man sang die Marseillaise, plünderte Geschäfte. Männer schlossen sich an – noch am selben Tag war der Frauenprotest zum Protest des „Proletariats“geworden.
Es war nicht der 8. März, zumindest nicht für Russland; nach dem damals dort gültigen julianischen Kalender war es der 23. Februar. Ein Jahr später führten die Bolschewiken den gregorianischen Kalender ein, und 1921 erklärten sie den 8. März zum Frauentag.
Diesen feiern wir heute auch, und große Teile der Welt – ohne groß an den historischen Anlass zu denken. Der 8. März hat sich einfach als Tag der Frau eingebürgert, nicht zuletzt, weil die Vereinten Nationen das Datum übernahmen: für ihren Tag der Vereinten Nationen für die Rechte der Frau und den Weltfrieden. Und das, obwohl die UNO damals alle möglichen Daten zur Auswahl gehabt hätte. Auch der Internationale Frauentag selbst existierte nämlich schon ein Jahrzehnt, bevor die Bolschewiken den 8. März als Gedenktag einführten – und fand bis dahin an unterschiedlichsten Tagen statt.
Anfangs dachte man an den März 1848
Die Deutsche Clara Zetkin hatte 1910 bei der Zweiten Internationalen Sozialistischen Konferenz einen Internationalen Frauentag vorgeschlagen und damit eine Idee US-amerikanischer Sozialistinnen aufgegriffen. 1911 wurde er zum ersten Mal gefeiert, am 19. März – man wollte an den 18. März anknüpfen, den Gedenktag für die Gefallenen der Märzrevolution 1848, und an den Beginn der Pariser Kommune im März 1871. Das Datum variierte in den kommenden Jahren – bis 1921. Mit den russischen Frauenprotesten hatte man nun endlich ein Ereignis, das symbolisch den Sozialismus mit der „Frauenfrage“verband – der 8. März wurde zur Norm.
Dass Frauen eine besondere Rolle zu Beginn der Russischen Revolution gespielt hätten, lobte schon die Zeitung „Prawda“eine Woche nach dem Frauenstreik: Frauen seien die Ersten gewesen, die in Petrograd auf die Straße gegangen seien. Aber wie sehr ging es bei den russischen Arbeiterinnenprotesten am 8. März beziehungsweise am 23. Februar 1917 um die „Sache der Frauen“? Bei dem legendären Frauenmarsch der Französischen Revolution, dem der Pariser Marktfrauen zum König nach Versailles an einem Herbsttag 1789, ist es eindeutig: Sie verlangten keine Frauenrechte, sondern Brot und Macht dem Volk. Für diese legendär gewordenen „Poissarden“(„Fischweiber“) spielte das Geschlecht keinerlei Rolle, es ging um die Rechte des „Volkes“.
Auch die Arbeiterinnen in St. Petersburg protestierten nicht in erster Linie als Frauen, sondern als Angehörige des Proletariats; allerdings trugen hier die seit Jahren sehr aktiven Frauenrechtsorganisationen viel zur Mobilisierung bei. Sie waren auch deswegen erfolgreich, weil der Krieg die Frauen in ihrem Selbstbewusstsein gestärkt hatte: Nach zweieinhalb Jahren Krieg, in denen die Männer an der Front oder umgekommen waren, versorgten hauptsächlich sie die Familien und ersetzten die Männer in den Fabriken.
Recht auf gleiche Bezahlung, Scheidung, Abtreibung, Recht, über das eigene Einkommen zu verfügen, staatliche Kinderbetreuung etc.: Die ersten zwei Jahre nach Beginn der Russischen Revolution scheinen Frauen umstandslos großartige Gesetze gebracht zu haben. Tatsächlich waren sie – sofern sie nicht ohnehin den Interessen der bolschewistischen Diktatur dienten, wie der Zerschlagung der Familie – hart erkämpft, von Frauenorganisationen wie der Russischen Liga für die Gleichberechtigung der Frauen, von wichtigen Aktivistinnen wie der Lenin-Geliebten Inessa Armand, Lenins Ehefrau Nadezhda Krupskaya oder der St. Petersburger Generalstochter und Vorkämpferin der freien Liebe, Alexandra Kollonai. Als 1919 die Soldaten aus dem Krieg kamen, sollten die Frauen den Männern die Arbeitsplätze überlassen – nur die Frauenabteilung der KP konnte durchsetzen, dass das Geschlecht bei der Besetzung keine Rolle spielte.
„Gelöste Frauenfrage“– seit Stalin?
Aber die höheren Schutzbedingungen (wie Achtstundentag oder Nachtarbeitsverbot) machten Frauen teurer, sie wurden eher arbeitslos, wieder abhängiger von den Männern. Kommunale Einrichtungen wie Speiseund Kinderhäuser, die sie entlastet hatten, wurden wieder abgeschafft. Und Gesetze wie das zur leichteren Scheidung schadeten den Frauen mehr, als ihnen zu nutzen. Stalin nahm dann ohnehin die meisten zurück, löste die Frauenabteilung der Partei auf und erklärte die „Frauenfrage“im Land ebenfalls für gelöst. Heute ist der 8. März in Russland ein arbeitsfreier Feiertag. „Da nach der Oktoberrevolution 1917 alle laut Bolschewisten gleichberechtigt waren, brauchten Frauen nicht mehr um ihre Rechte zu kämpfen“, erfährt man heute auf der deutschsprachigen Russland-Informationsseite russlandjournal.de. So sei der 8. März zum schönen Feiertag geworden, er habe „nichts mit dem Kampf der Feministen zu tun“, sei eine „Mischung aus Valentins- und Muttertag“. Egal, wo der Gedenktag gefeiert wird: Er ist auch ein Tag des eklatanten Nichtgedenkens.