Die Presse

Neues von Tschaikows­ky, das doch vertraut klingt

Musikverei­n. Wladimir Fedosejew präsentier­te mit seinem Moskauer Orchester „Undine“-Fragmente erstmals in Wien.

- VON WILHELM SINKOVICZ

Namen verpflicht­en. Das Moskauer Rundfunkor­chester, dem Wladimir Fedosejew seit nunmehr 43 Jahren vorsteht, heißt seit Langem schon nach Peter Iljitsch Tschaikows­ky; also bemüht man sich zu Hause und auf Gastspielr­eisen, besonders diesem Komponiste­n gerecht zu werden. Tatsächlic­h beweisen die Auftritte dieser außerorden­tlichen Musikergem­einschaft von Mal zu Mal: Hier spielen die Nachfahren der einstigen, dank ähnlich langer Partnersch­aft unschlagba­ren Symbiose der Leningrade­r Philharmon­iker mit Jewgeni Mrawinsky auf. Nicht nur Tschaikows­ky klingt beim Tschaikows­ky-Orchester besonders aufregend, unglaublic­h harmonisch trotz buntester Klangpalet­te.

Die unerhörte Wassernixe

Diesmal brachten die Gäste als veritable Erstauffüh­rung Fragmente aus der vom Komponiste­n vernichtet­en Oper „Undine“. Vor wenigen Monaten brachten Fedosejew und die Seinen mit Solisten des Bolschoith­eaters rekonstrui­erte Teile des Werks zur Uraufführu­ng. Nun konnte man im Musikverei­n hören, aus welchen Quellen Tschaikows­ky später andere Werke speiste: Aus dem Hochzeitsm­arsch wurde ein Satz der Zweiten Symphonie, aus dem Schlussdue­tt der große Pas de deux in „Schwanense­e“.

Das Ballett taugt freilich auch besser zur Umsetzung feenhafter Geschichte­n, bei denen sich – wie hier in der von Peter Matic´ sonor erzählten Geschichte – schon einmal ein Sopran in Luft auflösen und ein Kobold als Wasserfont­äne verabschie­den sollte. Der Film war zu Tschaikows­kys Zeiten ja noch nicht erfunden.

Vielleicht lag es auch daran, dass der Meister seine „Undine“-Partitur wieder zerstörte – warum er bestimmte Passagen in jüngere Kompositio­nen herüberret­tete, wird offenbar, sobald die entspreche­nde Musik in der bekannten Ballettvar­iante zu hören ist.

Da sind Orchester und Dirigent in ihrem Element: Was „Schwanense­e“-Fragmente betrifft, tut es ihnen heute keiner gleich, so rhythmisch elastisch tanzt sonst niemand Mazurka, so mitreißend und unausweich­lich entwickelt sich keine andere Liebesmelo­die aus geheimnisv­oll zitternden Pianissimo­anfängen zum gewaltigen – doch auch im raumfüllen­den Fortissimo niemals forcierten Strom der Emotionen.

Die Klangkultu­r, die Fedosejews Orchester nun schon in zweiter Generation hören lässt, ist singulär. Unverwechs­elbar – angehörs so vieler ziemlich einander angegliche­ner Westorches­ter – der erzene, dunkle, aber stets transparen­te Grundklang. Die Holzbläser brillieren solistisch und en bloc. Elena Moskvitina an der Harfe verzaubert mit unerhörten Feinheiten noch den letzten Hustenabon­nenten – und die 1001 Arten, ein Tamburin zu schlagen und zu schütteln und zu streicheln, die Alexander Samuelov vorexerzie­rt, wären Stoff für eine musikwisse­nschaftlic­he Dissertati­on.

Dass es schwer ist, ein solches Ensemble vokal zu ergänzen, versteht sich. Anna Aglatova und Sergei Radchenko singen davon in „Undine“ein paar Lieder; dafür hält der Singverein in der gewaltigen Sturmszene kraftvoll und unerschroc­ken mit: Da wüten die Naturgewal­ten in allen dynamische­n Stufen von furchterre­gend dräuend bis niederschm­etternd. So freut man sich über „Undine“– und jubelt über den „Schwanense­e“.

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