Neues von Tschaikowsky, das doch vertraut klingt
Musikverein. Wladimir Fedosejew präsentierte mit seinem Moskauer Orchester „Undine“-Fragmente erstmals in Wien.
Namen verpflichten. Das Moskauer Rundfunkorchester, dem Wladimir Fedosejew seit nunmehr 43 Jahren vorsteht, heißt seit Langem schon nach Peter Iljitsch Tschaikowsky; also bemüht man sich zu Hause und auf Gastspielreisen, besonders diesem Komponisten gerecht zu werden. Tatsächlich beweisen die Auftritte dieser außerordentlichen Musikergemeinschaft von Mal zu Mal: Hier spielen die Nachfahren der einstigen, dank ähnlich langer Partnerschaft unschlagbaren Symbiose der Leningrader Philharmoniker mit Jewgeni Mrawinsky auf. Nicht nur Tschaikowsky klingt beim Tschaikowsky-Orchester besonders aufregend, unglaublich harmonisch trotz buntester Klangpalette.
Die unerhörte Wassernixe
Diesmal brachten die Gäste als veritable Erstaufführung Fragmente aus der vom Komponisten vernichteten Oper „Undine“. Vor wenigen Monaten brachten Fedosejew und die Seinen mit Solisten des Bolschoitheaters rekonstruierte Teile des Werks zur Uraufführung. Nun konnte man im Musikverein hören, aus welchen Quellen Tschaikowsky später andere Werke speiste: Aus dem Hochzeitsmarsch wurde ein Satz der Zweiten Symphonie, aus dem Schlussduett der große Pas de deux in „Schwanensee“.
Das Ballett taugt freilich auch besser zur Umsetzung feenhafter Geschichten, bei denen sich – wie hier in der von Peter Matic´ sonor erzählten Geschichte – schon einmal ein Sopran in Luft auflösen und ein Kobold als Wasserfontäne verabschieden sollte. Der Film war zu Tschaikowskys Zeiten ja noch nicht erfunden.
Vielleicht lag es auch daran, dass der Meister seine „Undine“-Partitur wieder zerstörte – warum er bestimmte Passagen in jüngere Kompositionen herüberrettete, wird offenbar, sobald die entsprechende Musik in der bekannten Ballettvariante zu hören ist.
Da sind Orchester und Dirigent in ihrem Element: Was „Schwanensee“-Fragmente betrifft, tut es ihnen heute keiner gleich, so rhythmisch elastisch tanzt sonst niemand Mazurka, so mitreißend und unausweichlich entwickelt sich keine andere Liebesmelodie aus geheimnisvoll zitternden Pianissimoanfängen zum gewaltigen – doch auch im raumfüllenden Fortissimo niemals forcierten Strom der Emotionen.
Die Klangkultur, die Fedosejews Orchester nun schon in zweiter Generation hören lässt, ist singulär. Unverwechselbar – angehörs so vieler ziemlich einander angeglichener Westorchester – der erzene, dunkle, aber stets transparente Grundklang. Die Holzbläser brillieren solistisch und en bloc. Elena Moskvitina an der Harfe verzaubert mit unerhörten Feinheiten noch den letzten Hustenabonnenten – und die 1001 Arten, ein Tamburin zu schlagen und zu schütteln und zu streicheln, die Alexander Samuelov vorexerziert, wären Stoff für eine musikwissenschaftliche Dissertation.
Dass es schwer ist, ein solches Ensemble vokal zu ergänzen, versteht sich. Anna Aglatova und Sergei Radchenko singen davon in „Undine“ein paar Lieder; dafür hält der Singverein in der gewaltigen Sturmszene kraftvoll und unerschrocken mit: Da wüten die Naturgewalten in allen dynamischen Stufen von furchterregend dräuend bis niederschmetternd. So freut man sich über „Undine“– und jubelt über den „Schwanensee“.