Die Presse

Karge Kunst im Rosenlicht

Kunsthalle Wien. Eine etwas wirre Gruppenaus­stellung will die Poesie in der Erklärkuns­t beschwören, stiftet aber vor allem Verwirrung, Ermattung – und stellt die Sinnfrage.

- VON ALMUTH SPIEGLER Bis 7. Mai, tägl. 11–19 h, Do 11–21 h.

In Wien eine Ausstellun­g über Kunst und Sprache, speziell Poesie zu machen, wo sich jeder zweite bildende Künstler auf Wittgenste­in und jeder dritte auf die Wiener Gruppe, also Oswald Wiener, Ernst Jandl, H. C. Artmann etc. bezieht, setzt eine gewisse Chuzpe voraus. Noch dazu in der Wiener Kunsthalle, einem einschlägi­g vorbelaste­ten Ort. Denn hier erfuhr die Wiener Gruppe 1998/99 ihre lokale Verortung in der Kunst. Internatio­nal passierte das im Jahr zuvor, als Peter Weibel den österreich­ischen Pavillon der Biennale Venedig mit 50.000 dicken Katalogbän­den der Wiener Gruppe vollschlic­htete. Da wurde das Wort zur Kunst. Gottgegebe­n sozusagen.

Jetzt also will die Kunsthalle Wien nachlegen, als Kuratoren fungieren die Frau, die hier fast alles kuratiert, Vanessa Joan Müller, und der Mann, der zuletzt fast den ganzen Rest machte, Luca Lo Pinto, eine Deutsche und ein Italiener – die sich als Theoretike­r einen Russen geholt haben, den Linguisten Roman Jakobson (1896–1982), der meinte: „Poesie ist Sprache in ihrer ästhetisch­en Funktion“, also „Mehr als nur Worte“, so der Titel der Gruppenaus­stellung, die sich in bildhaften Klammern (Über das Poetische) äußern möchte.

Unendliche Unklarheit­en

Das hätte gerade wegen dieser internatio­nalen Mischung spannend werden können, endet aber in Belanglosi­gkeit, von der die Künstlerli­ste schon ahnen lässt, die aus jedem Dorf (und jeder Generation) einen dichtenden Hund zitiert: Von US-Konzeptkun­stUrgestei­n John Baldessari, der 1972 sehr leidenscha­ftlich versuchte, einer Topfpflanz­e das Alphabet beizubring­en, wie man in einer Art Lehrvideo sieht. Bis zur 1980 in Athen geborenen Erica Scourti, die uns ebenfalls per Video mit steinerner, übernächti­ger Miene Dadaistisc­hes vorliest, Wörter, die Google aus ihren Online-Tagebuchei­nträgen herausalgo­rithmiert hat, um mit ihnen auf Scourtis Seelenheil zugeschnit­tene Werbeangeb­ote in ihren E-Mail-Account zu zaubern.

Poesie als Widerstand gegen die algorithmi­sche Auswertbar­keit der Internetex­istenz. Poesie als Codierung. Das ist ein schöner Gedanke, den Kuratorin Müller als Erklärung mitgibt, warum man sich wieder vermehrt mit Dichtung, mit Poesie beschäftig­t. Schön! Das ergibt Sinn! Diesen Gedanken hätte man durchaus verfolgen und vertiefen können. So geht er unter. Zwischen unzusammen­hängenden, vorwiegend spröden Arbeiten: Nina Canell hat die Hüllen von Glasfaserk­abeln zu Plastikklu­mpen verschmolz­en. Elisabetta Benassi lässt zwei alte Morselampe­n ein Zitat von Arte-Povera-Künstler Mario Merz morsen: „Ich möchte sofort ein Buch machen.“Jenny Perlin zerlegt recht schülerhaf­t das Gedicht „Dust of Snow“des US-Nationaldi­chters Robert Frost filmisch in Fotos, Musik und abstrakten Rhythmus. Lesen, nochmal lesen, schauen, verstehen, oder auch nicht. Akkumulier­te Erklärkuns­t unter Poesieverd­acht – wie anstrengen­d ist das denn?

Natürlich passt alles irgendwie, vor allem wenn man Poesie als „Sprache der morphologi­schen Ungewisshe­iten und der unendliche­n Hermeneuti­k“definiert, wie im Pressetext, alles klar? Neben dem Gedanken des poetischen Widerstand­s hätten allerdings auch die beiden Künstler mehr Aufmerksam­keit verdient, die als historisch­e Anker gewählt wurden: Gerhard Rühm, der mit ein paar schönen Blättern konkreter Poesie zu finden ist im pinkfarben­en Neonlicht („Rosenlicht“, das sich Woche für Woche auf Be- fehl von Jason Dodge steigern wird). Und die früh verstorben­e italienisc­he Künstlerin­nenIkone Ketty La Rocca (1938–1976), die in den 1970er-Jahren aus Misstrauen patriarcha­ler Sprachgewa­lt gegenüber eine alternativ­e Zeichenspr­ache erprobte, in der Schrift, Zeichnung, Gestik zusammenfl­ießen. Für derlei Entdeckung­en ist man Kurator Lo Pinto immer dankbar. Ein wenig konkreter statt halt prinzipiel­l poetisch hätte es aber doch werden müssen.

 ?? [ Gal. Kargl] ?? Alternativ­e zur patriarcha­len Sprache: Ketty La Roccas (1938–1976) Fotoserie: „Meine Worte, und du?“
[ Gal. Kargl] Alternativ­e zur patriarcha­len Sprache: Ketty La Roccas (1938–1976) Fotoserie: „Meine Worte, und du?“

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