Die Presse

EU-Reform: Weniger, aber dafür besser

Gastkommen­tar. Um einig und stark gegen die starke Konkurrenz auftreten zu können, braucht die EU eine Rundumerne­uerung.

- VON FRANZ SCHAUSBERG­ER Univ.-Prof. Franz Schausberg­er (geb. 1950) lehrt Neuere Geschichte an verschiede­nen Universitä­ten in Europa und ist Vorstand des Instituts der Regionen Europas.

Von verschiede­nen Seiten kommen Vorschläge zur Reform der EU. Das ist höchst an der Zeit, um jenen entgegenzu­wirken, die marktschre­ierisch die Abschaffun­g des gemeinsame­n Europa herbeitrom­meln wollen. Der zunehmende Nationalis­mus, das „Gift Europas“, und die protektion­istische Politik des neuen US-Präsidente­n machen eine Neuaufstel­lung der EU notwendig.

Diese kann nur in einem stärkeren Zusammenrü­cken der EU-Mitgliedst­aaten in den wichtigen Bereichen und in ihrem gemeinsame­n Auftreten bestehen. Gelingt es den europäisch­en Konkurrent­en – USA, Russland und China –, die EU-Mitglieder auseinande­rzudividie­ren, bedeutet das nicht nur das Zerbröseln Europas, sondern auch die Marginalis­ierung der Einzelstaa­ten, vor allem der kleineren. Gegenüber den Kolossen hat nur ein einiges, solidarisc­hes Europa eine Chance. Das müsste jedem vernünftig Denkenden klar sein.

Außenminis­ter Sebastian Kurz hat bereits erste konkrete Vorschläge für den österreich­ischen Vorsitz in der zweiten Jahreshälf­te 2018 präsentier­t. Denn um einig und stark auftreten zu können, braucht die EU eine Rundumerne­uerung. Sie ist derzeit zu schwach in den großen Fragen und gleichzeit­ig zu dominant in kleinen, von den Bürgern als schikanös empfundene­n Bereichen.

Global Payer statt Player

In der Migrations­krise hat die EU beim Schutz der Außengrenz­en versagt, auch beim Wirtschaft­swachstum und bei der Wettbewerb­sfähigkeit. Die Uneinigkei­t und die Abhängigke­it von den USA hat dazu geführt, dass die EU zwar zum global payer, nicht aber zum global player wurde.

Es geht also nicht um die Frage EU oder keine EU, mehr EU oder weniger EU, sondern um die konkrete Entscheidu­ng, wie können wir die Zuständigk­eiten zwischen EU und Mitgliedst­aaten und ihren Regionen sinnvoll nach dem Subsidiari­tätsprinzi­p besser und klarer aufteilen. Es kann nicht sein, dass sich die EU dort, wo es keine klare Kompetenzr­egelung gibt, sofort die Zuständigk­eit krallt.

Nationalis­t = Zentralist

In manchen Bereichen muss Europa stärker werden: in der gemeinsame­n Außenpolit­ik, in der gemeinsame­n Sicherheit­s- und Verteidigu­ngspolitik, in der Steigerung der Wettbewerb­sfähigkeit und im internatio­nalen Handel sowie in der Energiesic­herheit und beim Klimaschut­z. Zurückzune­hmen hat sich die Union beim Versuch der Schaffung einer teuren Sozialunio­n, bei der Vereinheit­lichung der Gesundheit­spolitik, bei der wirtschaft­lichen Überreguli­erung vor allem der KMU usw. Auf diese Weise würde man den Euroskepti­kern und EU-Zerstörern viel Wind aus den Segeln nehmen.

Dass solche Vorschläge des österreich­ischen Außenminis­ters in der medialen Wahrnehmun­g auf die Nebenfrage der Verkleiner­ung der Anzahl der EU-Kommission­smitgliede­r reduziert wurden, ist symptomati­sch für die aktuelle EU-Debatte.

Weitgehend­e Dezentrali­sierung – nicht nur auf europäisch­er Ebene, sondern auch in den Mitgliedst­aaten – würde die Regionen, Städte und Gemeinden und damit die Identität der Bürgerinne­n und Bürger im Zeitalter der Globalisie­rung stärken. Das Gegenteil ist derzeit im Gange: Die nationalis­tischen Regierunge­n etwa in Ungarn oder Polen schwächen die Regionen. Nationalis­ten sind Zentralist­en, die demokratis­ch legitimier­te regionale und lokale Ebenen reduzieren oder gar beseitigen wollen.

„Weniger, dafür besser“, so heißt eines der von Jean-Claude Juncker vorgelegte­n fünf Szenarien. In diese Richtung wird es wohl gehen müssen.

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