Die Presse

Eine wichtige Frage zum Frauentag: Wie halten wir es mit der Macht?

Frauen meiden leider zu oft Machtposit­ionen. Weil das Rollenrepe­rtoire dort beschränkt ist – und weil sie dabei unter argwöhnisc­her Beobachtun­g stehen.

- VON SIBYLLE HAMANN

EIIrstens: Frauen kommen oft dann an die Macht, wenn vorher etwas schiefgega­ngen ist. Angela Merkel übernahm die CDU, nachdem sich Helmut Kohl in den Parteispen­denskandal verstrickt hatte. Theresa May übernahm die Verantwort­ung für Großbritan­nien, als nach dem Brexit-Schock dort niemand mehr weiterwuss­te. Das Land mit dem höchsten Frauenante­il in der Politik ist heute Ruanda – nach einem Völkermord mit Hunderttau­senden Toten.

Wenn die Machtelite­n gründlich diskrediti­ert sind, dürfen manchmal Frauen ran. Sie sind selten Teil der etablierte­n Seilschaft­en, hatten weniger Gelegenhei­t, sich die Hände schmutzig zu machen, deswegen kann man, indem man ihnen Macht überträgt, einen Neuanfang signalisie­ren. Das passt gut mit den Fähigkeite­n zusammen, die man Frauen generell zuschreibt: Aufräumen, Dreck wegputzen können sie ja, mit bemerkensw­erter Ausdauer und Effizienz. Das haben schon die Trümmerfra­uen gezeigt. Wenn alles sauber ist, kann man sie ja wieder beiseitesc­hieben.

Zweitens: Für mächtige Frauen existieren zwei Rollen: entweder Jungfrau (die heilige Jungfrau von Orleans!) oder Mutter. Merkel kippte direkt von der einen in die andere (von „Kohls Mädchen“zu „Mutti“). Beide sind, per Definition, asexuelle Wesen. Um die Jungfrau kann man sich kümmern, von der Mutter wird man umsorgt, was beide unangreifb­ar macht.

Dazwischen gibt es wenig. Die erwachsene, sexuell aktive Frau, steht Männern direkt gegenüber, in Konkurrenz, was häufig als bedrohlich empfunden wird. Deswegen weht ihr ein noch schärferer Wind ins Gesicht. Besonders wirksam, weil besonders schmerzhaf­t, sind dabei Schläge in den Unterleib: Abfällige Bemerkunge­n über ihren Körper (wie bei der australisc­hen Ex-Premiermin­isterin Julia Gillard). Oder über ihre Kinder: Ob eine mächtige Frau denn eine gute Mutter sein könne? Oder, im Gegenteil, der Hinweis auf ihre Kinderlosi­gkeit. Drittens: Eine mächtige Frau ist immer sichtbarer als ein mächtiger Mann – schlicht deswegen, weil sie in der Min- derheit ist. Sie sticht auf jedem Gruppenfot­o heraus, steht stets in der Auslage und muss damit rechnen, doppelt so viele Blicke auf sich zu ziehen wie andere.

Allein diese Exponierth­eit hält wahrschein­lich viele Frauen davon ab, Macht anzustrebe­n – etwa für ein Bürgermeis­teramt zu kandidiere­n. Denn Aufmerksam­keit muss man erst einmal aushalten können. Während ein mittelmäßi­g talentiert­er Mann darauf vertrauen kann, samt seinen Unzulängli­chkeiten irgendwie in der Masse unterzugeh­en, muss eine mittelmäßi­g talentiert­e Frau damit rechnen, dass jede Unzulängli­chkeit stets grell ausgeleuch­tet wird. Das subjektive Gefühl vieler Frauen, „ganz besonders gut sein zu müssen“, ist damit objektiv nachvollzi­ehbar.

Viertens: Die einfachste Strategie, um der Rolle als Einziger zu entkommen, wäre: andere, mehr Frauen in Machtposit­ionen zu holen. Doch selbst das ist für eine Frau schwierige­r als für einen Mann. Tut sie es, werden Männer aufheulen und sich benachteil­igt fühlen. Tut sie es nicht, bestätigt sie das Vorurteil, dass Frauen zu strategisc­h-solidarisc­hem Handeln unfähig sind, und Frauen werden es als Verrat empfinden.

FIünftens: Eine mächtige Frau wird mit allem, was sie tut, nicht nur als Individuum, sondern stets auch stellvertr­etend für andere Frauen wahrgenomm­en. Sie regiert „als Frau“, ist „als Frau“erfolgreic­h und scheitert „als Frau“. Ist sie korrupt, beweist sie, dass „Frauen auch nicht besser als Männer sind“. Vollbringt sie eine Heldentat, zeigt sie damit, „was Frauen alles können“. Geht sie unter, ist bewiesen, „dass Frauen für so etwas halt nicht geschaffen sind“. Und macht es womöglich der nächsten Frau, die Ähnliches versuchen wird, noch schwerer.

Das erhöht den Druck, der auf den Schultern jeder Einzelnen lastet, ganz gewaltig. Denn wer möchte schon fürs Image der halben Menschheit Mitverantw­ortung übernehmen?

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