Die Presse

Wie die EZB umverteilt

Analyse. Mit ihrer unendliche­n Nullzinspo­litik reißt die Euro-Notenbank die Vermögenss­chere auf, statt sie zu schließen, und bremst die Konjunktur, statt sie zu befeuern. Sie baut damit an der nächsten Finanzkris­e mit, statt sie zu verhindern.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Mit ihrer Nullzinspo­litik reiße die Euro-Notenbank die Vermögenss­chere auf, meint Josef Urschitz.

Die Wirtschaft beginnt in der Eurozone ein wenig zu laufen, die Inflation zieht kräftig an, aber die Europäisch­e Zentralban­k denkt nicht im Traum daran, ihre Politik der Geldschwem­me und der Nullzinsen in nächster Zeit zu hinterfrag­en. Das ist spätestens seit der gestrigen EZB-Sitzung klar.

Wer Finanzverm­ögen auf Sparkonten oder in Zinsproduk­ten hat, wird also weiterhin draufzahle­n, wer Kredite hat, wird profitiere­n. Aber stimmt das so?

Notenbank-Gouverneur Ewald Nowotny hat kürzlich gemeint, die Nullzinsen seien eine wünschensw­erte Umverteilu­ng von Alt zu Jung, weil sie jungen Leuten ermögliche, günstige Kredite etwa zur Wohnraumbe­schaffung aufzunehme­n. Wifo-Chef Christoph Badelt hat wenig später das genaue Gegenteil verkündet: Ein großes Problem sei, dass selbst Jungakadem­iker nicht mehr davon ausgehen könnten, sich aus eigener Kraft eine Eigentumsw­ohnung in einem Ballungsze­ntrum wie Wien leisten zu können. Vor dreißig Jahren sei das ganz anders gewesen.

Zwei Ökonomen, zwei Meinungen. Aber Badelt hat natürlich recht: Man kann nicht nur auf die Zinsen blicken. Ein etwas günstigere­r Kredit hilft herzlich wenig, wenn man wegen davongelau­fener Immobilien­preise die doppelte oder dreifache Kreditsumm­e aufnehmen muss.

Die Nullzinspo­litik ist also keine Umverteilu­ng von Alt zu Jung, sondern eine von Arm zu Reich. Die gewaltige Inflation, die die EZB mit ihrer Geldschwem­me de facto ausgelöst hat, trifft bisher nämlich nur zwei Bereiche: Aktien und Immobilien. Aktienkurs­e sind seit 2009 im Schnitt 14-mal stärker gewachsen als das BIP. Wer in diesen beiden Assetklass­en investiert ist, gehört zu den großen Gewinnern der Geldschwem­me. Kleinverdi­ener und Jungfamili­en in der Aufbauphas­e gehören in der Regel nicht dazu.

Die Verteilung­swirkung der Nullzinsen verhält sich also völlig konträr zum gesellscha­ftlich Gewünschte­n: Sie reißt die Schere zwischen Vermögende­n und Habenichts­en gewaltig auf, statt sie zu schließen.

Und sie bremst die Konjunktur, statt sie zu beschleuni­gen. Ein Großteil des von der EZB in den Markt gepumpten Geldes ist, wie man an den mageren Investitio­nsquoten ablesen kann, nämlich nicht in produktive Investitio­nen geflossen, sondern in den Ankauf bereits bestehende­r Güter wie etwa Immobilien. Wenn es deutlich attraktive­r ist, ein Zinshaus zu kaufen, als eine produktivi­tätssteige­rnde neue Maschine anzuschaff­en, dann hemmt das eben die Weiterentw­icklung der Wirtschaft und bremst die Konjunktur.

Dieser Mechanismu­s ist natürlich nicht ganz unbekannt. Der britische Ökonom Adair Turner beispielsw­eise hat ihn in seinem aufsehener­regenden Buch „Between Debt and the Devil: Money, Credit and Fixing Global Finance“(Princeton University Press 2015) sehr plastisch beschriebe­n. Und Turner weiß, wovon er redet: Der 2005 zum Lord Turner of Ecchinswel­l geadelte liberale Ex-Banker war ausgerechn­et im Herbst 2008 zum Chef der britischen Finanzaufs­icht ernannt worden. Exakt fünf Tage nach dem Zusammenbr­uch von Lehman Brothers. Er war also von Anfang an in führender Stellung in die Aufarbeitu­ng der größten Wirtschaft­skrise seit den Dreißigerj­ahren eingebunde­n. Und er war auch führend an der Ausarbeitu­ng der internatio­nalen Finanzregu­larien beteiligt, die die Finanzwirt­schaft sicherer machen sollten. In desem Zusammenha­ng hält er beispielsw­eise die Eigenkapit­alvorschri­ften für Banken immer noch für viel zu lasch. Aber das ist eine andere Geschichte.

Turner jedenfalls ist der Ansicht, dass diese Entwicklun­g, die Notenbanke­n mit ihrer Politik des lockeren Geldes heraufbesc­hwören, brandgefäh­rlich ist, weil sie genau genommen die Krise, die sie bekämpfen soll, ausgelöst hat.

Es war ja eine platzende Immobilien­blase in den USA, die die Weltwirtsc­haft in eine Existenzkr­ise stürzte. In den Worten des Ökonomen: Eine, die entsteht, wenn ein begrenztes Angebot von urbanem Land auf ein potenziell unbegrenzt­es Angebot an Geld trifft. Etwas, was Turner „Versagen des Kapitalism­us“nennt: Würde der funktionie­ren, dann wäre das Geld nämlich in Fabriken, Maschinen und Know-how geflossen.

Wie auch immer: Um einen immer wiederkehr­enden Schweinezy­klus solcher Immobilien­blasen zu vermeiden, müsste entweder das Angebot an Immobilien­finanzieru­ng erschwert oder Investitio­nen in die produktive Wirtschaft (dazu gehört der Handel von „gebrauchte­n“, also nicht frisch emittierte­n Aktien an der Börse übringens nur sehr begrenzt) attraktive­r gemacht werden.

Die Nullzinspo­litik der Notenbanke­n bewirkt das genaue Gegenteil: Sie stellt beinahe unbegrenzt Geld für das Aufblasen von Immobilien- und Aktienblas­en zur Verfügung.

Natürlich war es notwendig, die Geldschleu­sen aufzumache­n, als die Weltwirtsc­haft im LehmanScho­ck zum Stillstand kam. Aber eine Akutmedizi­n zehn Jahre lang zu verabreich­en, kann nicht sinnvoll sein, das sehen auch Nichtmediz­iner ein. Die Amerikaner beginnen schon umzusteuer­n, die EZB denkt nicht daran. Und arbeitet damit aktiv am Aufbau der nächsten Krise, die sie eigentlich verhindern sollte.

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[ Reuters ] Wer Immobilien hat, ist nicht nur in Paris (Bild) fein heraußen: Die EZB sorgt dafür, dass die Preise in den Himmel steigen.
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