Die Presse

Standpauke für Türkei im Bundestag

Deutschlan­d. Bundestags­präsident Lammert, Regierungs­chefin Merkel und Grünen-Parteichef Özdemir redeten der Regierung in Ankara ins Gewissen. Diese zeigte sich jedoch unbeeindru­ckt.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Berlin. Wenn die Kanzlerin ihre Regierungs­erklärung in ihrem eher monotonen Stil vom Blatt liest, reißt dies im Bundestag keinen von den Sitzen. Am Donnerstag aber kochten unter der Reichstags­kuppel die Emotionen, und dies hatte zum einen mit der Debatte in der Türkei-Frage zu tun und zum anderen mit der Ouvertüre durch Norbert Lammert. Der Bundestags­präsident (CDU) bezog in einer geschliffe­nen Grundsatzr­ede dezidiert Stellung und gab so den Ton für seine Nachredner vor.

Wer einen Vergleich zwischen Deutschlan­d und dem Dritten Reich ziehe, disqualifi­ziere sich selbst, sagte er in Richtung der Erdogan-˘Regierung in Ankara. Die Rechte, die ein Land wie die Türkei für ihre Repräsenta­nten in Deutschlan­d einfordere, müsse sie auch den Landsleute­n zu Hause garantiere­n. Stattdesse­n jedoch steuere die Türkei auf einen autokratis­chen Staat zu, stellte Lammert unter großem Beifall fest.

Merkels Balanceakt

Angela Merkel verbat sich dann auch weitere Nazi-Vergleiche. „Das ist so deplatzier­t, dass man es eigentlich ernsthaft gar nicht kommentier­en kann. Zu rechtferti­gen ist es schon überhaupt nicht.“Es führe nur zur Verharmlos­ung der NS-Verbrechen. Zugleich war sie um Schadensbe­grenzung bemüht: „So unzumutbar manches ist – unser außen- und geopolitis­ches In- teresse kann eine Entfernung der Türkei nicht sein.“

Vollführt die Regierungs­chefin in der Flüchtling­sfrage seit einem Jahr einen Balanceakt gegenüber der Türkei, nimmt sich Cem Özdemir kein Blatt vor den Mund. Der grüne Parteichef beschreibt sich gern als „anatolisch­er Schwabe“, Recep Tayyip Erdogan˘ nannte ihn indessen höhnisch einen „angebliche­n Türken“und denunziert­e ihn als „Vaterlands­verräter mit verdorbene­m Blut“. Als Özdemir im Vorjahr die Armenien-Resolution zur Verurteilu­ng des Völkermord­s im Bundestag einbrachte, erntete er Hassmails und Drohungen. Jetzt resümierte er pointiert: Nicht Deutschlan­d wolle Mitglied der Türkei werden, sondern umgekehrt die Türkei Mitglied in der EU. „Da ist es doch gut, einmal zu sagen, wer sich wem anpassen soll.“An die Auftritte türkischer Minister in Deutschlan­d knüpfte er die Bedingung der Freilassun­g von Opposition­spolitiker­n oder des Journalist­en Deniz Yücel. Im Übrigen appelliert­e er an die Deutschtür­ken, gegen das Verfassung­sreferendu­m in der Türkei zu stimmen. „Unsere Demokratie ist nicht dazu da, in der Türkei eine Diktatur zu errichten.“

Pilz für Reisewarnu­ng

Während Peter Pilz, sein grüner Parteifreu­nd, in Österreich vom Außenminis­terium eine Reisewarnu­ng für die Türkei forderte, mahnte CSU-Generalsek­retär Andreas Scheuer von der Regierung in An- kara eine Entschuldi­gung für den Nazi-Vergleich ein. Erdogan˘ und seine „Schergen“seien als Wahlkämpfe­r in Deutschlan­d nicht willkommen, polterte er. Die Mehrheit im Bundestag wollte türkischen Politikern die Redefreihe­it in Deutschlan­d aber nicht verbieten.

Derweil zeigte sich Außenminis­ter Mevlüt C¸avus¸og˘lu unbeeindru­ckt von der Kritik. Nach einem klärenden Gespräch mit Amtskolleg­en Sigmar Gabriel setzte er noch nach. Die Praktiken in Deutschlan­d würden an die Nazi-Zeit erinnern. Unverdross­en angesichts jüngster Absagen in Zürich und Rotterdam kündigte er 30 Wahlkampfv­eranstaltu­ngen allein in Deutschlan­d an. Und Erdogan˘ denkt ohnehin nicht daran zurückzust­ecken.

 ?? [ DPA ] ?? Schwarz-grüner Gleichklan­g im Bundestag: Angela Merkel lauscht den Ausführung­en des Parteichef­s Cem Özdemir.
[ DPA ] Schwarz-grüner Gleichklan­g im Bundestag: Angela Merkel lauscht den Ausführung­en des Parteichef­s Cem Özdemir.

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