Standpauke für Türkei im Bundestag
Deutschland. Bundestagspräsident Lammert, Regierungschefin Merkel und Grünen-Parteichef Özdemir redeten der Regierung in Ankara ins Gewissen. Diese zeigte sich jedoch unbeeindruckt.
Wien/Berlin. Wenn die Kanzlerin ihre Regierungserklärung in ihrem eher monotonen Stil vom Blatt liest, reißt dies im Bundestag keinen von den Sitzen. Am Donnerstag aber kochten unter der Reichstagskuppel die Emotionen, und dies hatte zum einen mit der Debatte in der Türkei-Frage zu tun und zum anderen mit der Ouvertüre durch Norbert Lammert. Der Bundestagspräsident (CDU) bezog in einer geschliffenen Grundsatzrede dezidiert Stellung und gab so den Ton für seine Nachredner vor.
Wer einen Vergleich zwischen Deutschland und dem Dritten Reich ziehe, disqualifiziere sich selbst, sagte er in Richtung der Erdogan-˘Regierung in Ankara. Die Rechte, die ein Land wie die Türkei für ihre Repräsentanten in Deutschland einfordere, müsse sie auch den Landsleuten zu Hause garantieren. Stattdessen jedoch steuere die Türkei auf einen autokratischen Staat zu, stellte Lammert unter großem Beifall fest.
Merkels Balanceakt
Angela Merkel verbat sich dann auch weitere Nazi-Vergleiche. „Das ist so deplatziert, dass man es eigentlich ernsthaft gar nicht kommentieren kann. Zu rechtfertigen ist es schon überhaupt nicht.“Es führe nur zur Verharmlosung der NS-Verbrechen. Zugleich war sie um Schadensbegrenzung bemüht: „So unzumutbar manches ist – unser außen- und geopolitisches In- teresse kann eine Entfernung der Türkei nicht sein.“
Vollführt die Regierungschefin in der Flüchtlingsfrage seit einem Jahr einen Balanceakt gegenüber der Türkei, nimmt sich Cem Özdemir kein Blatt vor den Mund. Der grüne Parteichef beschreibt sich gern als „anatolischer Schwabe“, Recep Tayyip Erdogan˘ nannte ihn indessen höhnisch einen „angeblichen Türken“und denunzierte ihn als „Vaterlandsverräter mit verdorbenem Blut“. Als Özdemir im Vorjahr die Armenien-Resolution zur Verurteilung des Völkermords im Bundestag einbrachte, erntete er Hassmails und Drohungen. Jetzt resümierte er pointiert: Nicht Deutschland wolle Mitglied der Türkei werden, sondern umgekehrt die Türkei Mitglied in der EU. „Da ist es doch gut, einmal zu sagen, wer sich wem anpassen soll.“An die Auftritte türkischer Minister in Deutschland knüpfte er die Bedingung der Freilassung von Oppositionspolitikern oder des Journalisten Deniz Yücel. Im Übrigen appellierte er an die Deutschtürken, gegen das Verfassungsreferendum in der Türkei zu stimmen. „Unsere Demokratie ist nicht dazu da, in der Türkei eine Diktatur zu errichten.“
Pilz für Reisewarnung
Während Peter Pilz, sein grüner Parteifreund, in Österreich vom Außenministerium eine Reisewarnung für die Türkei forderte, mahnte CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer von der Regierung in An- kara eine Entschuldigung für den Nazi-Vergleich ein. Erdogan˘ und seine „Schergen“seien als Wahlkämpfer in Deutschland nicht willkommen, polterte er. Die Mehrheit im Bundestag wollte türkischen Politikern die Redefreiheit in Deutschland aber nicht verbieten.
Derweil zeigte sich Außenminister Mevlüt C¸avus¸og˘lu unbeeindruckt von der Kritik. Nach einem klärenden Gespräch mit Amtskollegen Sigmar Gabriel setzte er noch nach. Die Praktiken in Deutschland würden an die Nazi-Zeit erinnern. Unverdrossen angesichts jüngster Absagen in Zürich und Rotterdam kündigte er 30 Wahlkampfveranstaltungen allein in Deutschland an. Und Erdogan˘ denkt ohnehin nicht daran zurückzustecken.