Die Presse

Blockade zwingt Kiew zum Umdenken

Ukraine. Von Separatist­en beschlagna­hmte Firmen in abtrünnige­n Gebieten sind am Rande des Zusammenbr­uchs. Unklar ist, wie Kiew künftig Energiebed­arf decken wird.

- Von unserem Korrespond­enten PAUL FLÜCKIGER

Kiew/Warschau. Der Konflikt zwischen der Kiewer Regierung und Aktivisten im Donbass spitzt sich zu. Sie würden ihre Waffen nicht abgeben, erklärten die selbst ernannten Kontrolleu­re des Warenverke­hrs zwischen dem Norddonbas­s unter Kiewer Verwaltung und den Gebieten prorussisc­her Separatist­en. Letztere wollen mit Schienen- und Straßenblo­ckaden vor allem die Kohleeinfu­hr aus dem abtrünnige­n Donbass unterbinde­n.

Eine gut vernetzte Gruppe von ehemaligen Frontkämpf­ern, Aktivisten und Abgeordnet­en der Partei Samopomits­ch (Selbsthilf­e) hatte Ende Jänner mit der Blockade einer von sechs noch funktionie­renden Güterbahnl­inien zwischen dem abtrünnige­n Donbass und dem Rest der Ukraine begonnen. Mitte Februar erweiterte­n sie die Blockade auf weitere zwei Bahnlinien und zuletzt auch auf mehrere Straßen und stürzten damit die Ukraine in einen Energienot­stand.

Vor allem die ukrainisch­en Kraftwerke sind nämlich ganz auf die Verbrennun­g von AnthrazitK­ohle ausgericht­et, die fast nur im separatist­ischen Donbass gefördert wird. Der Tagesbedar­f wird auf 30.000 Tonnen beziffert. Fast die gesamte Menge wurde bisher trotz des Krieges im Donbass über die Frontlinie hinweg aus dem Separatist­engebiet bezogen. Trotz einer generellen Handelsblo­ckade stellte Kiew dafür großzügig Sonderbewi­lligungen aus. Die Blockade-Aktivisten argumentie­ren, dieser Handel sei unmoralisc­h, er fördere Korruption und Schattenwi­rtschaft.

Wirtschaft von Kohle abhängig

Regierung und Präsidiala­mt stellen sich jedoch auf den Standpunkt, der Kohlehande­l trage wesentlich zu den Budgeteinn­ahmen bei, mit denen vor allem die Armee bei ihrem Kampf gegen den russischen Aggressor unterstütz­t werde. Die Wirtschaft sei schlichtwe­g auf die hochwertig­e Anthrazitk­ohle aus dem Donbass angewiesen, erklärt Regierungs­chef Wolodymyr Hrois- man. Das Innenminis­terium drohte kürzlich gar mit einer gewaltsame­n Räumung der Blockaden. Bisher ist es nur bei Drohungen geblieben.

Die Separatist­enführer der beiden selbst ernannten prorussisc­hen „Volksrepub­liken“, Aleksander Sachartsch­enko (Donezk) und Ihor Plotnitzki (Luhansk), haben per Anfang März die Lieferung von Kohle offiziell eingestell­t. Zuvor hatten sie Kiew ein Ultimatum für die Räumung der Blockaden gestellt und im gegenteili­gen Fall die Enteignung der beiderseit­s der Frontlinie gemeldeten Firmen angedroht. Es handelt sich dabei vor allem um Kohlebergw­erke und Stahlhütte­n im Besitz des ukrainisch­en Oligarchen Rinat Achmetow.

Laut einem Bericht des russischen „Kommersant“scheint die Enteignung inzwischen praktisch abgeschlos­sen. Die Separatist­enführung will den Betrieb nun auf Bedürfniss­e Russlands ausrichten. Pessimiste­n rechnen mit einer sozialen Katastroph­e im abtrünnige­n Donbass, wenn die Arbeitslos­igkeit dort noch weiter ansteigt. Als Druckmitte­l könnte die von Netanjahu angestrebt­e Koalition der „vernünftig­en“islamische­n Staaten am Persischen Golf dienen. Unter diesem Begriff sieht Jerusalem eine Allianz der arabischen Anrainer mit den USA und der Türkei vor – eine Achse, die das Hauptziel hat, Teherans Einfluss in der Region zu schwächen. Ob diese waghalsige Konstrukti­on nach dem Motto „Der Feind meines Feindes ist mein Freund“funktionie­ren kann, ist noch unklar. Israel unterhält außer zu Jordanien und Ägypten keine diplomatis­chen Beziehunge­n zu seinen arabischen Nachbarn.

Moskau sitzt in Syrien zwar am längeren Ast, muss aber auf die Bedürfniss­e seiner Verbündete­n eingehen. Zumal es nach weltpoliti­scher Anerkennun­g strebt: Hat man doch zuletzt gar eine Initiative für direkte Gespräche zwischen Israelis und Palästinen­sern gestartet.

Der nahöstlich­e Gesprächsr­eigen in Moskau geht am Freitag in die nächste Runde: Da wird der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ in der russischen Hauptstadt erwartet. Gesprächsb­edarf dürfte es ebenfalls in der Causa Syrien geben, wo die türkische Regierung den Abzug der kurdischen YPG-Miliz aus der von ihr kontrollie­rten Region Manbij fordert. Derzeit versuchen US-Spezialsol­daten, durch die Errichtung eines Korridors die verfeindet­en Parteien voneinande­r zu trennen, und auch russische Soldaten sind hier im Einsatz. Das zeigt die Schwierigk­eiten der Kriegspart­eien, sich auf eine Ordnung nach der Vertreibun­g des IS zu einigen. Syrien erweist sich so einmal mehr als schwierige­s Gelände für existieren­de Allianzen, ebenso wie es unerwartet­e Ad-hocBündnis­se hervorbrin­gt.

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