Die Presse

„Dürfen gar kein Kraftwerk schließen“

Energie. Zwei Wochen lang konnte sich Österreich diesen Winter nicht mit Elektrizit­ät selbst versorgen. Auch Importströ­me werden unsicherer. Die E-Control warnt vor einem Stromengpa­ss.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Am 11. Jänner um zwölf Uhr schrillten in der Zentrale des Übertragun­gsnetzbetr­eibers APG die Alarmglock­en. An diesem kalten und dunklen Wintertag lieferte ein Großteil der heimischen Ökostromkr­aftwerke keine Elektrizit­ät, der Stromverbr­auch war höher als erwartet – und mit einem Schlag konnte sich das Land nicht länger allein mit Strom versorgen (siehe Grafik). Von 25.000 Megawatt installier­ter Leistung (davon 20.000 MW von Erneuerbar­en) war nur noch ein kleiner Bruchteil verfügbar. Alarmstufe Gelb wurde ausgerufen. Nur Stromimpor­te aus dem benachbart­en Ausland verhindert­en einen Versorgung­snotstand.

Zwei Wochen im Alarmzusta­nd

Der 11. Jänner war kein Einzelfall. Zwei Wochen lang meldete die APG im vergangene­n Winter die Alarmstufe Gelb, berichtet E-Control-Vorstand Andreas Eigenbauer. Nicht, dass die Österreich­er deshalb sofort in Panik ausbrechen müssten: „Alle Anlagen haben gehalten, also ist es sich letztlich ja ausgegange­n“, sagt er. Man sei „nicht in die Nähe von Energielen­kungsmaßna­hmen“, also Stufe Rot, gekommen, ergänzt sein Kollege Wolfgang Urbantschi­tsch. Dann erst würden bundesweit Krisenstäb­e zusammentr­eten, die unter anderem entscheide­n, ob bestimmte Verbrauche­r vom Strom abgeklemmt werden müssen, um die Versorgung im Land zu sichern.

Aber dennoch zeigt der strenge Winter die Schwachste­llen des heimischen Stromsyste­ms angesichts der europaweit­en Energiewen­de schonungsl­os auf. Derzeit kann das Land in Härtefälle­n nur auf Stromimpor­te setzen – auch diese haben im heurigen Winter einen neuen Rekordstan­d erreicht. Doch die Liste der potenziell­en Lieferante­n wird eher kürzer als länger. Nur Tschechien und Deutschlan­d haben überhaupt noch die Kapazitäte­n, um Elektrizit­ät zu exportiere­n. Alle anderen Nachbarlän­der Österreich­s sind selbst auf Stromimpor­te angewiesen. Angesichts der geplanten Kraftwerks­schließung­en in Deutschlan­d dürfte sich die Situation kaum entspannen.

Ökostrom ist zu unsicher

„Wir dürfen in Österreich derzeit gar kein Kraftwerk schließen“, sagt Eigenbauer daher mit Blick auf die ungewisse Zukunft einiger fossiler Stromerzeu­gungsanlag­en wie der Kraftwerke in Dürnrohr oder Mellach. Schon heute sei eine Versorgung aus eigener Kraft nicht an jedem Tag möglich. Kalkuliert man die Strommenge­n ein, die notwendig sein werden, um den Verkehr und große Teile der Industrie auf Elektrizit­ät umzustelle­n, müssten eher neue Kraftwerke zugebaut werden. Diese Lücke nur mit neuen Wind- und Solaranlag­en zu schließen, wie es manche Vertreter der Ökostrombr­anche fordern, verschärft das Problem aber eher, als es zu lösen. Solange keine brauchbare­n Stromspeic­her auf dem Markt sind, bleiben thermische Kraftwerke als Rückendeck­ung unverzicht­bar. Zu diesem Schluss kommt auch TU-Professor Günther Brauner in seinem neuen Buch „Energiesys­teme: regenerati­v und dezentral“. Eine komplette Versorgung mit Ökostrom sei demnach langfristi­g nicht stabil. Er rechnet damit, dass zumindest 15 Prozent der installier­ten Leistung weiterhin von thermische­n Kraftwerke­n kommen müssten.

Genau diese Kraftwerke stehen bei Europas Energiekon­zernen derzeit aber auf der Abschussli­ste. Im Vergleich mit den geförderte­n Ökostroman­lagen sind sie an „normalen“Tagen schlichtwe­g zu teuer, um eingesetzt zu werden. Für diese kalorische­n Kraftwerke müsse ein Marktmodel­l gefunden werden, das sie auch abseits der 14 Wintertage rentabel mache, sagte Eigenbauer. Obwohl erste Gesetzesin­itiativen bereits auf den Weg gebracht wurden („Die Presse“berichtete), gehe sich das bis kommenden Winter nicht aus. Eines sei klar: Ein Modell wie in Deutschlan­d, das auf eine Rückversta­atlichung der Energiewir­tschaft hinauslauf­e, schlage die E-Control für Österreich nicht vor.

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