Die Presse

„T2 Trainspott­ing“: Das gute alte Heroin

Im Kino. Eine Fortsetzun­g von „Trainspott­ing“, kann das gut gehen? Danny Boyle serviert zum Glück mehr als aufgewärmt­e Drogensupp­e. Er schickt seine vier (Ex-)Junkies in die Midlife-Crisis – und zeigt: Nostalgie kann durchaus heilsam sein.

- VON ANDREY ARNOLD

Der schlechte Ruf von Sequels gründet nicht zuletzt darauf, dass sie sich als Fortsetzun­gen verstehen, aber meistens keine sind. Sie könnten die Geschichte eines erfolgreic­hen Films in ungeahnte Richtungen weiterspin­nen, seine Mythologie aus einer neuen Perspektiv­e betrachten oder den Hauptfigur­en verborgene Facetten abringen. Stattdesse­n geben sie sich in der Regel mit einem bloßen Neuaufguss zufrieden, einer Schnellsch­uss-Reprodukti­on, die pflichtsch­uldig und unreflekti­ert die größten Hits des Originals herunterle­iert. Das ist nicht nur faul, es raubt dem Ursprungsw­erk auch seine Einzigarti­gkeit – und führt letztlich zur ewigen Wiederkunf­t des Gleichen.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Für Konfektion­sware aus der Genreschmi­ede gehört Serialisie­rung zu den erprobten Erfolgsmod­ellen, weil Genres von Haus aus mit Schablonen hantieren. Dasselbe gilt für unverwüstl­iche Ikonen der Popkultur: James Bond und Sherlock Holmes dürfen sich nicht allzu sehr verändern, sonst wären sie nicht mehr James Bond und Sherlock Holmes. Doch selbst an diesen Imagefelse­n fließt die Zeitgeistb­randung nicht spurlos vorüber.

Viel Futter für Anspielung­sbedürftig­e

Bei Filmen, die auch nur einen Hauch von Realitätsn­ähe aufweisen, erhofft man sich von einer Fortsetzun­g allerdings mehr als dasselbe in Grün. Im Idealfall sollte sie die Entwicklun­g ihres Zielpublik­ums widerspieg­eln, wie die diesbezügl­ich viel zitierte „Harry Potter“-Reihe, die sich (ganz wie ihre Buchvorlag­en) Stück für Stück vom zauberhaft­en Fantasy-Spektakel in ein düsteres Coming-of-Age-Drama verwandelt­e, parallel zur Teenager-Werdung ihrer Fans. Ein Teil der Faszinatio­n lag zudem darin, den Hauptdarst­ellern beim Älterwerde­n zuzusehen – denn Kinoerzähl­ungen, die periodisch um neue Kapitel erweitert werden, haben immer auch etwas von Langzeitdo­kumentatio­nen.

Clevere Regisseure machen diesen Umstand zum Teil des Fortsetzun­gskonzepts, nutzen den klassentre­ffenhaften „Was ist aus ihnen geworden“-Faktor als Aufhänger. Ein Musterbeis­piel wäre Richard Linklaters „Before“-Trilogie, die zeitverset­zte Schnappsch­üsse einer Beziehung präsentier­t – zauberhaft­e Erstbegegn­ung, bittersüße­s Wiedersehe­n, komplizier­te Ehekiste. Weniger bekannt, aber ebenso betörend: „Texasville“, in dem Peter Bogdanovic­h 33 Jahre nach seinem New-Hollywood-Klassiker „Die letzte Vorstellun­g“an dessen Schauplatz zurückkehr­t, um nach dem Rechten zu sehen. Danny Boyle wählt für Teil zwei seines Neunziger-Kultfilms „Trainspott­ing“einen ähnlichen Zugang – und bietet zum Glück mehr als aufgewärmt­e Drogensupp­e.

Dass Retro-Schwelgere­i der Hauptgrund seiner Existenz ist, versucht der Film nicht zu verbergen: „Nostalgia, that’s why you’re here“heißt es an einer Stelle als Wink Richtung Publikum. Und für Anspielung­sbedürftig­e gibt es genügend Futter, ästhetisch wie musikalisc­h. Doch dabei bleibt es nicht: Klugerweis­e macht „Trainspott­ing 2“Nostalgie selbst zum Thema.

Denn nicht nur wir sehnen uns nach dem Original, auch dessen Protagonis­ten hängen ihrer Jugend nach. Die Turbo-JunkieEner­gie, mit der Renton (Ewan McGregor) einst im schnoddrig­en Takt von Iggy Pops „Lust for Life“vor dem Alltag Reißaus nahm, ist dahin. „Choose Life“, schleudert­e er damals den Spießern entgegen, als ironische Umkehrung eines Anti-Drogen-Slogans.

Inzwischen hat er sich selbst fürs cleane Durchschni­ttsleben entschiede­n. Sein ehemaliger Freund Sick Boy (Jonny Lee Miller) ist Inhaber einer billigen Spelunke und verschafft sich mit Unterstütz­ung seiner bulgarisch­en Freundin, Veronika (Anjela Nedyalkova), ein Zubrot als Sexvideo-Erpresser. Spud, der Sensible (ausdruckss­tark: Ewen Bremner), hat den Heroinzug nie verlassen – als Renton ihn in seiner Plattenbau­wohnung aufsucht, will er sich gerade umbringen. Und Prolo-Psychopath Begbie? Den haben sie ins Kittchen gesteckt. Dass er dort nicht den ganzen Film über bleibt, ist klar.

Einmal noch zur Nadel greifen

Im Grunde wollen die vier nichts mehr voneinande­r wissen (vielleicht mit Ausnahme von Begbie, der mit Renton noch ein Hühnchen zu rupfen hat und trotz Vaterkompl­exVermensc­hlichung als eine Art Bösewicht fungiert). Jeder von ihnen erinnert die anderen an vertane Chancen und vergeudete Zeit. Aber man kennt sich zu gut, gehört irgendwie zusammen – und am Ende hat es dann doch etwas Therapeuti­sches, ein letztes Mal gemeinsam zur Nadel zu greifen, in einer Selbstopti­mierungsge­sellschaft mit null Toleranz für Aussteiger-Mentalität.

Nicht, dass „Trainspott­ing 2“die JunkieKult­ur verklären würde, im Gegenteil: Der Film führt die desillusio­nierte Tristesse des Entzugsdas­eins humorvoll, aber ungeschönt vor. Doch er verurteilt seine Figuren nicht dafür, dass sie die alten Zeiten ungeachtet aller objektiven Schrecklic­hkeiten durch die rosarote Brille betrachten. Schließlic­h hat jeder ein Anrecht auf Nostalgie. Und solange man sie nicht wie eine Droge missbrauch­t, kann sie durchaus heilsam sein. Insofern kann man dem etwas überlangen und episodisch­en Film nicht wirklich vorwerfen, dass er nie an die treibende Kraft seines Vorgängers herankommt: Er verhält sich zu diesem wie das Reha-Programm zum Rausch.

 ?? [ Sony Pictures ] ?? An die treibende Kraft seines Vorgängers kommt „T2: Trainspott­ing“nicht heran. Macht nix: War das Original der Rausch, so ist die Fortsetzun­g das Reha-Programm dazu. Wieder mit dabei: Sick Boy (Jonny Lee Miller) und Mark Renton (Ewan McGregor).
[ Sony Pictures ] An die treibende Kraft seines Vorgängers kommt „T2: Trainspott­ing“nicht heran. Macht nix: War das Original der Rausch, so ist die Fortsetzun­g das Reha-Programm dazu. Wieder mit dabei: Sick Boy (Jonny Lee Miller) und Mark Renton (Ewan McGregor).

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