Die Urform des Posing
Albertina. In der Fotografie wurde immer schon manipuliert – vor und hinter der Kamera. Die Ausstellung „Acting for the Camera“gibt einen historischen Überblick.
Es sind die zwei berühmtesten Fotos der Welt, sie zeigen, was sonst: einen Kuss. Einen in der alten Welt, 1950 in Paris, einen am Times Square, 1945, wo ein Matrose in erster Aufwallung durch die Nachricht vom Ende des Krieges sich die nächstbeste Krankenschwester schnappt, ziemlich brutal, was Alfred Eisenstaedt hier festgehalten hat, eigentlich. Robert Doisneaus ähnlich spontan scheinender Kuss vor dem Hotel de La Ville wirkt um einiges sanfter, intimer. Und, wie wir jetzt wissen: Das wohl am häufigsten reproduzierte Fotomotiv der Welt war gestellt, von zwei Schauspielschülern.
Ist es dadurch weniger „echt“? Weniger wert? Nicht im künstlerischen Sinn. „Acting for the camera“, also das bewusste Verhältnis zwischen dem Fotografen und dem Fotografierten, ist ab heute Thema der neuen Fotoausstellung in der Albertina. Die übrigens weder das eine, noch das andere Kussfoto beherbergt. Dafür Ikonen der österreichischen Fotogeschichte wie die charismatischen Schiele-Selbstinszenierungen vor der Kamera seines Freundes Anton Josef Trcka.ˇ Oder die „Bewegungsstudie“von Rudolf Koppitz, der vier russische Tänzerinnen 1926 so arrangierte, dass drei Schwarzgewandete den bergartigen Hintergrund für eine sich grazil nach hinten beugende Nackte bilden. Zu wenig belichtete nackte Füßchen wurden im Nachhinein dann malerisch ergänzt, so Fotokurator Walter Moser. Die Fotografie hat eben schon immer gelogen beziehungsweise manipuliert, ergänzt er. Was der Kunst ja keinen Abbruch tue.
Imagewechsel per Fotografie
Auch das Bild, das Image von sich selbst kann man durch Fotografie manipulieren. Eine, die das besonders geschickt nutzte, war Romy Schneider, die 1964 mithilfe des englischen Fotografen Will McBride ihrem lieblichen Sisi-Image an den Kragen ging. Während Filmschauspieler sich traditionell „en nature“porträtieren ließen, zeigten Theaterschauspieler sich eher in ihren Paraderollen, wie sie das in Wien um 1900 in voller Kostümierung in den Ateliers von Franz Xaver Setzer, Trude Fleischmann und Dora Kalmus taten. Auch die so modernen Ausdruckstänzer bzw. -tänzerinnen dieser Zeit warfen sich in den Studios zu Werbezwecken in ihre expressiven Gesten, die wiederum von den bildenden Künstlern wie Schiele aufgesogen wurden.
Fotografie als Künstlervorlage steht am Anfang dieser soliden Sammlungsausstellung, als Nacktmodelle sich für den Markt- führer der europäischen Aktfotografie, Otto Schmidt, in altmeisterliche Posen von Leda (ohne Schwan) und Venus (recht nah noch an der von Willendorf ) warfen. Rückschließend aus den Verkaufszahlen dieser äußerst freizügigen Künstlerbedarf-Bildbände kann man sagen – so viele Künstler hat es nie wieder gegeben.
Das Wechselspiel von Fotografie und Malerei im Speziellen war auf vielen Ebenen enorm – wir kennen alle unsere weichzeichnenden, malerischen Piktoralisten, wie Koppitz einer war. Weniger aber kennen wir die Kollegen aus England zum Beispiel, etwa den erstaunlichen, hierzulande fast unbekannten Fotografen Henry Peach Robinson (1830–1901), der mit der Fotografie sozusagen malte, der die einzelnen Negative wie Farben benutzte, um aus vielen verschiedenen von ihnen das eine, große, superartifizielle Gesamtbild zusammenzubasteln. Ein Fantasie-Landschaftsbild mit im Studio aufgenommenen Mädchengruppen zum Beispiel.
Dieser oft unüberblickbare Grenzgang zwischen dem Kunstwollen des Fotografen und dem Realitätsglauben des Publikums an ihn bzw. an sein Medium Fotografie hält seine Spannung erstaunlich lang. So hat Helmar Lerski (1871–1956) seine Metamorphosen-Fotoserie, für die der ehemalige SpecialEffekt-Spezialist für Stummfilme wie „Metropolis“in den 1930er-Jahren berühmt wurde – ein Männergesicht in verschiedenen Lichtverhältnissen – ausgiebig nachbearbeitet, wie Moser erzählt. Auch im Wiener Aktionismus war nicht alles so, wie es heute scheint, etwa eine orgiastische „Aktion“: Rudolf Schwarzkogler etwa inszenierte überhaupt alles nur für die Kamera, das war eher Stop and Go statt Blut und Rausch. Von Günter Brus ist auch einiges nur für Ludwig Hoffenreich entstanden, den Hauptfotografen der Aktionisten.
Man sieht, man kann also nur auf wenig vertrauen in der künstlerischen bzw. historischen Fotografie – weder auf die festgelegte Rolle des Models noch auf eine gemeinhin angenommene „Wirklichkeit“des Abgelichteten. Und dass diese Ausstellung diese generelle Skepsis nährt, ist ganz gut so.