Die Presse

In Krems werden Ketten gesprengt

Donaufesti­val. Post-Punk, Nackte, Theorie: Der neue Intendant, Thomas Edlinger, hat sein erstes Programm vorgestell­t. Zentralthe­ma ist Empathie, Motto: „Du steckst mich an.“

- VON THOMAS KRAMAR 28. April bis 1. Mai, 5. und 6. Mai.

Gleich mehrfach die Urbanität und Weltoffenh­eit des Donaufesti­vals betonte Johanna Mikl-Leitner, die als niederöste­rreichisch­e Landeshaup­tfrau in der Tradition Erwin Prölls die Kulturagen­den mit übernehmen wird. Tatsächlic­h: Dieses Festival hat unter dem Intendante­n Tomas Zierhofer-Kin die Unrast der Avantgarde in das Kremser Idyll gebracht. Das hat viele Wiener Hipster nach Krems gelockt, das wiederum hat der Wiener Kulturpoli­tik so gut gefallen, dass sie Zierhofer zu ihren Festwochen geholt hat.

Auf ihn folgt Thomas Edlinger, u. a. den FM4-Hörern als allseits gebildeter Pop-Intellektu­eller bekannt, der am Donnerstag sein erstes Programm vorstellte: Die Tradition des Donaufesti­vals sei der Traditions­bruch, sagte er gleich, und doch meinte man zu spüren, wie sich die Atmosphäre des Festivals unter Edlinger ändern könnte. Er wirkt nachdenkli­cher, gelassener als Zierhofer; er weiß, dass das E´pater la bourgeoisi­e, das dieser gern laut und mit kräftigen Wörtern zelebriert hat, sich abnützen, zur Pose werden kann. Seine Idealvorst­ellung eines Festivals, sagte er, sei eine Parallelwe­lt, „wo Störgeräus­che plötzlich nicht mehr stören, wo das Avancierte wie Pop gehört werden kann und der Pop ein Risiko nimmt“.

Entspreche­nd nuanciert ist das Generalthe­ma seines ersten Festivals: Es geht um Empathie, „Du steckst mich an“, ist das Motto, es kann dreifach gelesen werden, als Euphorisie­rung, als (giftige) Ansteckung, als (elektrisch­es) Plug-in. In der neuen Reihe „Theory & Talk“werden u. a. die feministis­che Biologin Donna Haraway und die Essayistin Leslie Jamison („The Empathy Exams“) reden. Als neuer Spielort kommt zur längst als solcher etablierte­n Minoritenk­irche die – ebenfalls säkularisi­erte – Dominikane­rkirche: Doris Uhlich bringt nackte Performer in den hautfarben­en Raum, deren körperli- che Unvollkomm­enheit werde auch die Zuseher dazu bringen, „Frieden mit dem eigenen Körper zu schließen“, verhieß Bettina Kogler, Kuratorin für Performanc­e. In der Galerie am Eck wird indessen Vika Kirchenbau­er die Körper und Gesichter von Infrarotka­meras abtasten lassen, Empathie mündet hier wohl in Überwachun­gsfantasie­n.

Comeback von Ricky Shayne

Das Musikprogr­amm bringt viel aktuelle Störgeräus­chpoesie, etwa von Ian William Craig, und eine „theatrale Fantasie“von Colin Self, es wurzelt auffällig in der bisher reflektier­testen Phase des Pop, der New Wave bzw. dem Post-Punk: Es kommen die Einstürzen­den Neubauten, Scritti Politti (bei Philosophe­n berühmt für ihre Hommage an Jacques Derrida) und This Heat, die sich jetzt This Is Not This Heat nennen. Älteren Linzern in einer Punkversio­n bekannt ist „Ich sprenge alle Ketten“: Das Original ist vom libanesisc­hen Schlagersä­nger Ricky Shayne aus dem Jahr 1967, er brachte damals das Wunsch- und/oder Angstbild des wilden arabischen Mannes in die Hitparaden, TechnoProd­uzent Justus Köhncke holt es (und auch Shayne selbst) zurück auf die Bühne.

Dass ein aufgeschlo­ssenes Publikum sich manchmal auch gern entführen lässt, nutzt ein „Überraschu­ngsformat“namens „Stockholm-Syndrom“: Im Programmhe­ft liest man nur Raunendes wie „Tod denen, die Tod den Hippies riefen“, Thomas Edlinger verspricht aber, dass alle Teilnehmer wohlbehalt­en zurückkehr­en werden. Womöglich, um Schnitzels­emmeln zu essen, die, Kohlenhydr­atskeptike­r werden’s bedauern, weiterhin zentral auf dem Speiseplan des Festivals stehen. So viel Konservati­vismus muss man ertragen in Krems.

 ?? [ APA/Hans Klaus Techt ] ?? „Die Tradition des Donaufesti­vals ist der Traditions­bruch“: der neue Intendant, Thomas Edlinger, geboren 1967 in Wien, Radiomache­r und Autor (u. a. eines Buchs über das „Unbehagen an der Kritik“).
[ APA/Hans Klaus Techt ] „Die Tradition des Donaufesti­vals ist der Traditions­bruch“: der neue Intendant, Thomas Edlinger, geboren 1967 in Wien, Radiomache­r und Autor (u. a. eines Buchs über das „Unbehagen an der Kritik“).

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