Die Presse

Deutschlan­ds Atombombe und Österreich­s Neutralitä­t

Dank Donald Trump wird Österreich­s Neutralitä­t obsoleter denn je zuvor. Umso problemati­scher ist, was Verteidigu­ngsministe­r Doskozil von sich gegeben hat.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Hans Peter Doskozil (SPÖ) ist ganz zweifellos ein tüchtiger Ressortche­f und durchaus eine Bereicheru­ng dieser Regierung. Innerhalb kurzer Zeit ist es dem Verteidigu­ngsministe­r gelungen, nicht nur zusätzlich­e Budgetmitt­el für das Bundesheer bereitzust­ellen, sondern auch das Selbstbewu­sstsein der Streitkräf­te zu stärken. Das ist, vor allem im Vergleich zu seinen unseligen Vorgängern, nicht nichts.

Vor allem aber hat der Minister begriffen, dass auf der politische­n Prioritäte­nliste der Bevölkerun­g nicht weitere multikultu­relle Bereicheru­ng ganz oben steht, sondern ein stark gestiegene­s Bedürfnis nach Sicherheit. Dass Doskozil dieses Sehnen nach Sicherheit durchaus auch mit einem Schuss Dem-Volk-aufs-MaulSchaue­n für sich urbar macht, ist in der Politik legitim – und hat ihm geholfen, einer der beliebtest­en Politiker des Landes zu werden. Nicht ganz auszuschli­eßen, dass sich die SPÖ dereinst fragen wird, ob der heute 46-Jährige nicht auch Kanzler kann.

Umso befremdlic­her und problemati­scher ist freilich, was Doskozil jüngst von sich gegeben hat. Weil derzeit über eine stärkere militärisc­he Integratio­n der EU-Staaten diskutiert wird, sah er sich genötigt, dem eine massive Abfuhr zu erteilen. „Eine Beteiligun­g Österreich­s an einer EU-Armee ist mit der Neutralitä­t nicht vereinbar, ein Aushöhlen der Neutralitä­t kommt mit Sicherheit nicht infrage“, sagte er der „Kronen Zeitung“. Auch „Beistands- und Beitragsau­tomatismen“lehnte er dezidiert ab.

Nun ist Österreich­s Neutralitä­t bis auf die äußere Hülle durch und durch ausgehöhlt. Und eine europäisch­e Armee wird es, so wie die Dinge stehen, vermutlich auch noch nicht geben, wenn Doskozil längst seinen Ruhestand genießt. Bis zu einem gewissen Grad haben wir es also mit einem Sturm im Wasserglas zu tun, der Doskozils Beliebthei­t im neutralitä­tsbesoffen­en Österreich freilich weiter mehren wird. Was ja wohl auch der Sinn der Übung war.

Seriös sieht freilich anders aus. Österreich­s Neutralitä­t ist nämlich in Wahr- heit obsoleter denn je und hat herzlich wenig Zukunft. Denn nicht zuletzt angesichts der verbalen Entmannung des westlichen Verteidigu­ngsbündnis­ses Nato durch den neuen US-Präsidente­n, Donald Trump, wird die EU – inklusive Österreich natürlich – in den nächsten Jahren gezwungen sein, erwachsen zu werden und ihre Landesvert­eidigung autonom zu gestalten. Notfalls eben auch ohne die Vereinigte­n Staaten.

Würde das, aus welchen Gründen auch immer, unterlasse­n, wird es früher oder später westlich von Russland nur noch Vasallenst­aaten Moskaus geben – eine wenig erbauliche Vorstellun­g. Dass es dabei nicht um irgendwelc­he akademisch­en Hirngespin­ste geht, zeigt unter anderem die Tatsache, dass angesichts dieser geostrateg­ischen Zeitenwend­e in der Debatte in Deutschlan­d eines der letzten Nachkriegs­tabus gebrochen wird: die Frage nach der Notwendigk­eit einer deutschen Atombombe, sollten die USA ihren nuklearen Schutzschi­rm tatsächlic­h schließen.

Es dürfe da „keinerlei Tabus“geben, preschte jüngst ein außenpolit­ischer Sprecher der Kanzlerpar­tei CDU vor. Unterstütz­t wurde er von der „FAZ“, wonach das „für ein deutsches Gehirn Undenkbare“– eine eigene Atomstreit­macht – gedacht werden müsse.

Sicher ist: Die EU-Staaten werden künftig militärisc­h wesentlich enger miteinande­r verflochte­n werden müssen als bisher, ob das nun EU-Armee heißt oder nicht. Das wird nicht nur verdammt viel Geld, sondern vor allem viel Souveränit­ät kosten. Und natürlich wird es auch die von Doskozil abgelehnte­n Beistandsu­nd Beitragsau­tomatismen brauchen. All das wird auch mit einer noch weiter ausgehöhlt­en Neutralitä­t nicht gehen – also wird die früher oder später endgültig fallen müssen.

Der Bevölkerun­g das zu verschweig­en und weiter vorzugauke­ln, die Neutralitä­t biete noch irgendeine­n Schutz, mag populär sein – seriös ist es nicht.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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