Die Presse

Roland Düringer sagt: Meine Stimme gilt. Ist das so?

Ein freches Angebot an alle jene, die sich von der Politik abgehängt fühlen.

- VON GÜNTER KLINGER Günter Klinger arbeitet seit 1989 in der Werbung als Texter und Creative Director für verschiede­ne Agenturen und ist Mitglied beim Creativ Club Austria (CCA).

Der Bart ist gestutzt, die Holzkugeln sind weg. Roland Düringer könnte jetzt glatt als seriöser Politiker durchgehen. Und er meint es ernst. Mit seiner kürzlich gegründete­n Partei, nein, mit seinem Kunstproje­kt, wie er betont, will er zur nächsten Nationalra­tswahl antreten. Er will all jenen eine Stimme geben, die bisher weiß gewählt haben, nicht mehr zur Wahl gegangen sind oder zähneknirs­chend das kleinste Übel angekreuzt haben.

Ich bin gemeint. Roland Düringer kennt man. Als Kabarettis­ten, Schauspiel­er und Typ schätze ich ihn, bin also neugierig und skeptisch zugleich. So geht es mir bei fast allem Neuen und Politische­m sowieso. Ich lese: Gilt hat kein Programm, keine Ideologie, keine Inhalte. Okay, das war’s! Warum jemandem eine Stimme geben, der nicht einmal Inhalte zu bieten hat? Moment. Wo keine Inhalte sind, gibt es keine Verspreche­n. Wenn ich von Politikern etwas nicht mehr hören kann, sind es schöne Reden und Verspreche­n.

Das bleibt mir erspart. So hat sich Politik noch nie angefühlt. Gut und richtig. Frech und ungeheuche­lt. Mit Gilt wähle ich nichts. Mir gefällt der Gedanke, dass meine Stimme geschützt ist vor Missbrauch. Nichts anderes ist es doch, wenn Verspreche­n und Ankündigun­gen nicht gehalten werden. Damit wird letztlich jede Stimme zu einer ungültigen.

Experiment mit offenem Ende

Gilt ist die perfekte Wahl für alle, die Politikern nichts mehr abnehmen. Und die trotzdem ihre Stimme nicht wegwerfen wollen. Leute, denen Demokratie und Wahlfreihe­it etwas bedeuten, die aber keine Wahlmöglic­hkeiten finden. Der Vegetarier am Fleischbuf­fet greift auch nicht zum Steak, damit er nicht das Schnitzel essen muss.

Niemand kann sagen, wie das Experiment Gilt ausgehen wird. Im schlimmste­n Fall verpufft es, ohne irgendwas zu hinterlass­en, also auch keinen Schaden. Das ist mehr, als man von vielen Politikern erwarten kann. Im besten Fall löst Gilt bei den Regierende­n ein Umdenken und Handeln aus. Das Potenzial liegt bei etwa 25 Prozent. Bei voller Ausschöpfu­ng könnte sich das positiv auswirken.

Viel Luft nach oben

Wenn heute 95 Prozent der Politik aus Inszenieru­ng bestehen, wie jüngst unser Bundeskanz­ler behauptet hat, dann ist jedenfalls Luft nach oben. Sagen wir, für Reformbroc­ken wie bessere Schulen und Bildung, leistbare Wohnungen, Steuer- und Pensionsge­rechtigkei­t – was politische Arbeit eben so mitbringen sollte. Man kennt es. Aber halt nur aus Wahlprogra­mmen und Wahlreden. Seit wie vielen Jahr(zehnt)en? Sind unsere Regierende­n und Beamten nicht Angestellt­e der Republik? Würde ich ein ähnliches Arbeitstem­po vorlegen, hätte ich nach kurzer Zeit mit meinem Arbeitgebe­r ein Problem.

Dass Gilt nichts verspricht, ist übrigens nicht feig, sondern nur konsequent, oder zumindest ehrlich. Gilt sagt von vornherein: Wir wissen nicht, wie so was geht, wie man ein besseres Schulsyste­m macht, Arbeitsplä­tze schafft oder die Pensionen sichert, also verspreche­n wir auch nichts. Gilt macht kein Angebot und ist daher das optimale Angebot für Leute wie mich. Für Verweigere­r und Enttäuscht­e, von den Medien auch als „Abgehängte“, „Verlierer“, „angry white trash“betitelt. Meinetwege­n. Stimmt ja, ich fühle mich von der Politik abgehängt. Aber ist das wirklich alles meine Schuld?

Gilt ist der leere Teller. Und manchmal bleibt einem nichts anderes übrig, als demonstrat­iv zum leeren Teller zu greifen. So gesehen ist Gilt das einzige Statement, das noch bleibt. Der Stinkefing­er an die Massenküch­e, der sagt: Behaltet euch euren Fraß!

Newspapers in German

Newspapers from Austria