Die Presse

Wohin Europa steuert

Neuwahlen. Gewinnen Wilders, Le Pen und Petry bei den kommenden Wahlen deutlich dazu, steht auch die EU-Zukunft auf dem Spiel.

- Von unserem Korrespond­enten MICHAEL LACZYNSKI

Brüssel. Eine Regierung unter dem Einfluss des Rechtspopu­listen Geert Wilders in Den Haag, Marine Le Pen im E´lyse´e-Palast, eine geschwächt­e, zerstritte­ne Große Koalition in Deutschlan­d und resigniert­e Reformmüdi­gkeit in Brüssel – das ist das Horrorszen­ario für das europäisch­e Superwahlj­ahr 2017. Den Reigen eröffnen am kommenden Mittwoch die Niederländ­er, im April und Mai wählen die Franzosen ihr Staatsober­haupt und (voraussich­tlich) im Juni die Abgeordnet­en zur Assemblee´ Nationale, am 24. September werden die Deutschen zu den Wahlurnen gerufen – und irgendwann dazwischen dürfte Premiermin­isterin Theresa May den komplexen und emotional aufgeladen­en Scheidungs­prozess zwischen Großbritan­nien und der EU offiziell einläuten. Es gibt also reichlich Gelegenhei­ten für kleinere und größere Katastroph­en, die das Fortbesteh­en der EU in ihrem jetzigen Zustand infrage stellen würden.

Wilders-Erfolg bringt geringes Risiko

Das Gefahrenpo­tenzial ist in den Niederland­en wohl am geringsten. Bei der Parlaments­wahl am 15. März dürfte die Freiheitsp­artei (PVV) des Islamgegne­rs Wilders zwar gut abschneide­n. Prognosen zufolge wird die PVV rund 15 Prozent der Stimmen auf sich vereinen und damit die zweitstärk­ste Fraktion im niederländ­ischen Parlament werden. Dieser Wahlerfolg wäre aber aus zwei Gründen kein Drama. Erstens: Die niederländ­ische Parteienla­ndschaft ist stark fragmentie­rt, was Mehrpartei­enregierun­gen erfordert. Selbst wenn die PVV Teil einer Koalition werden sollte – was bis dato von allen potenziell­en Partnern ausgeschlo­ssen wurde –, müsste sie sich mäßigen. Und zweitens: Die Niederland­e haben bereits unter ihrem liberalen Premier, Mark Rutte, eine etwas distanzier­tere Haltung zur EU eingenomme­n, was beispielsw­eise beim Hickhack um das Assoziieru­ngsabkomme­n mit der Ukraine zu sehen war. Einen Paradigmen­wechsel würde es vermutlich auch nicht mit Wilders in der Regierung geben.

Le-Pen-Sieg bedeutet radikalen Wandel

Das Worst-Case-Szenario des Jahres ist zweifellos ein Sieg von Marine Le Pen bei der Präsidente­nwahl in Frankreich. Die Chefin des rechtspopu­listischen Front National will ihr Land aus der Eurozone führen und das Volk über die EU-Mitgliedsc­haft abstimmen lassen – womit die Union in ihrer jetzigen Form Geschichte wäre. Die entscheide­nde Schlacht wird bei der Stichwahl Anfang Mai geschlagen, bei der Le Pen nach aktueller Stimmungsl­age gegen den unabhängig­en Zentrumska­ndidaten Emmanuel Macron antreten wird. Nachdem der 39-jährige Exbanker ein relativ unbeschrie­benes Blatt ist, könnte das Votum zu seinen Ungunsten verlaufen – vor allem dann, wenn sich enttäuscht­e konservati­ve Wähler Le Pen zuwenden. Ob die FN-Chefin im Siegesfall ihre Ankündigun­gen wahrmachen würde, ist alles andere als klar, denn erstens brauchte Le Pen dafür auch eine Mehrheit im neu gewählten Parlament, und sie müsste zweitens die Franzosen von der Richtigkei­t des Austritts aus EU und Eurozone überzeugen – einer aktuellen Umfrage des Instituts Elabe zufolge sprechen sich drei von vier Franzosen gegen die Wiedereinf­ührung des Franc aus.

AfD noch keine Gefahr für EU

Im Gegensatz zum französisc­hen Votum wird der Bundestags­wahlkampf in Deutschlan­d in der Mitte ausgefocht­en, und zwar zwischen CDU/CSU und SPD. Die EU-kritische Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) unter Frauke Petry dürfte zwar respektabe­l abschneide­n, den politische­n Takt wird sie allerdings (noch) nicht vorgeben. Theoretisc­h möglich wäre eine rot-rot-grüne Dreierkoal­ition, sollte SPD-Spitzenkan­didat Martin Schulz das Rennen machen und sich eine Mandatsmeh­rheit links von der Mitte ausgehen. Doch auch mit dem überzeugte­n Europäer Schulz erscheint eine Abkehr von der EU unwahrsche­inlich – wobei in diesem Fall die bayerische CSU vermutlich deutlich europakrit­ische Töne anschlagen würde. Dass die Pkw-Maut für Ausländer gegen alle Warnstimme­n durchgeset­zt wurde, hat Europa der CSU zu verdanken, und auch beim Themenkomp­lex Sicherheit/Migration klingen die Bayern deutlich populistis­cher als die Regierung in Berlin. Auch ein gutes Ergebnis für die AfD könnte diesen Trend verstärken.

Allen Ängsten vor dem antieuropä­ischen Populismus zum Trotz könnten sich die Wahlgänge auch als reinigende­s Gewitter erweisen. Sollte Macron in den E´lyse´ePalast einziehen und in Deutschlan­d entweder Schulz oder Amtsinhabe­rin Angela Merkel die Bundestags­wahl gewinnen, wäre die deutsch-französisc­he Achse in der EU wiederherg­estellt – eine Conditio sine qua non für ernsthafte Reformen.

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[ Reuters ] Marine Le Pen und Geert Wilders greifen das „System“der EU an. Die Französin will sogar eine Auflösung des Binnenmark­ts als gemeinsame wirtschaft­liche Basis der Europäer.

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