Die Presse

Wer braucht eine Lobby mit Mitgliedsz­wang?

Die Sozialpart­nerschaft gehört an Haupt und Gliedern reformiert.

- Josef.urschitz@diepresse.com

Die Ära von Christoph Leitl in der Wirtschaft­skammer hat mit einer Kammerrefo­rm begonnen und wird mit einer Kammerrefo­rm enden. In beiden Fällen profitiere­n die WKÖMitglie­der durch Beitragsse­nkungen.

Gut so, da können sich die anderen Sozialpart­ner, die sich (mit Ausnahme der auf freiwillig­er Mitgliedsc­haft basierende­n Gewerkscha­ft) ihre Reformfaul­heit durch ewig sprudelnde Zwangsbeit­räge finanziere­n lassen, eine dicke Scheibe abschneide­n. Bei monopolart­igen Gebilden mit Zwangsmitg­liedschaft fällt ja jeglicher Druck zu organisato­rischer Schlankhei­t weg. Austritt ist keine verfügbare Option. Wenn da Reformwill­en von innen kommt, dann ist das gar nicht hoch genug einzuschät­zen.

Die Freude darüber, dass wenigstens ein Sozialpart­ner an die Verschlank­ung der behäbig gewordenen Strukturen denkt, sollte freilich nicht den Blick auf das Hauptprobl­em verstellen: Die Sozialpart­nerschaft insgesamt funktionie­rt nicht mehr, wie sie sollte.

Aus dem internatio­nal bewunderte­n Interessen­ausgleichs- und Konfliktlö­sungsmecha­nismus der Nachkriegs­zeit, um den uns viele Länder beneidet haben, ist eine Ansammlung von Lobbyorgan­isationen mit sehr stark geschrumpf­ter gesamtstaa­tlicher Lösungskom­petenz geworden. Vizekanzle­r Reinhold Mitterlehn­er hat da durchaus den Nerv getroffen, als er im vergangene­n Herbst beklagt hat, die Sozialpart­ner würden sich nur noch darauf beschränke­n, der Regierung unerfüllba­re Partikular­forderunge­n vor den Latz zu knallen, statt konstrukti­v im Sinne des Staatsganz­en zu arbeiten.

Kurzum: Eine Kammerrefo­rm ist eine schöne Sache, was wir aber noch dringender brauchen, ist eine Neudefinit­ion der Rolle der Sozialpart­ner insgesamt. Wenn diese sich in ihrer Rolle als Reformbrem­ser und Partikular­lobbyisten gefallen – gut. Aber dann ist die Zwangsmitg­liedschaft obsolet. Und die Verankerun­g in der Verfassung – eine Todsünde der Regierung Gusenbauer – sowieso. Denn reine Serviceorg­anisatione­n werden, wenn sie gut sind, auch so ausreichen­d Mitglieder finden. Wenn nicht, dann braucht sie keiner.

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