„Ich möchte, dass Hitler meine Bilder gefallen“
Interview. Der Künstler Erez Israeli will die Erinnerung an den Holocaust mit neuen Emotionen aufladen. Ohne diese, sagt er, werde es nicht gehen, werde die Erinnerung verblassen. Dafür bricht er Tabus, auch in seiner neuen Ausstellung in Wien.
Natürlich will man die Stempel sehen, die den wenigen auf die Hand gedrückt werden, die Einlass in den vermutlich besten Techno-Club der Welt erhalten, ins Berghain in Berlin. Auch in seiner Heimatstadt Tel Aviv, sagt Erez Israeli, umgebe diesen Namen schon eine mythische Aura, die Berlin zu einer Art Sehnsuchtsort für die Jungen macht. Schnell schiebt er also die Ärmel seines Hemds hoch – und da sind die seltsamen Symbole. Er hat sich die wöchentlich wechselnden Motive als Tattoos in die Unterarme stechen lassen. Eintritt für immer? Tanzen macht frei?
Natürlich erinnern diese Gravuren am Arm eines Künstlers mit seinem Namen an die Nummern, die den KZ-Häftlingen gestochen wurden, als sie in die NS-Tötungsmaschinen hineingetreten wurden. Es ist ein unmöglicher Vergleich, er schmerzt. Und genau das will dieser hagere Mann Anfang 40, mit dem schmalen, ernsten Gesicht, der inmitten seiner ähnlich unmöglichen Ausstellung in Wien steht, in der Dependance der Berliner Galerie Crone. Dieser schmerzhafte Unglaube, der einen befällt, wenn man sieht, wie respektlos hier mit unantastbarer Erinnerungskultur umgegangen wird – dieser Empörungsautomatismus ist das künstlerische Mittel Israelis. Dementsprechend berühmt, wie man sich vorstellen kann, ist er in Israels kleiner Kunstszene, wo er viele Jahre an der Kunst-Universität unterrichtet hat. Jetzt ist er nach Berlin gezogen und hat sich als erste Kunstaktion die Symbole dieses neuen, jungen, offenen, kreativen Deutschlands unter die Haut gehen lassen. Eine Solidarisierung, die trotzdem nichts vergessen machen will.
„Mache aus einer Lüge eine neue Lüge“
Um alte Stereotype neu zu emotionalisieren, treibt Israeli sie zu teils grotesken Überspitzungen: „Ich verwende etwa eine Lüge und mache eine andere daraus“, erklärt er vor einem Totenkopf-Objekt, aus dem ein riesiger Nasenknochen wächst. Der von der NS-Propaganda oft mit großer Nase dargestellte „Jude“wird hier gleich zum Pinocchio. In monumentalen, schwarz-goldenen Wandbildern treibt er diese Idee ins Vulgäre weiter: Hänsel und Gretel werden hier zu Hänsel und Hänsel, nicht nur mit Pinocchio-Nasen, sondern analog auch, einem alten Spruch folgend, mit Riesen-Penissen ausgestattet. Hier kommt vieles zusammen: Die verheimlichte Homoerotik der Nazis. Der expressive Malstil, der an „entartete“Kunst erinnern soll. Das Gold, das an die von den Nazis geschätzte Kunst erinnert, wie die von Gustav Klimt – „ich will, dass Hitler meine Bilder liebt“, sagt Israeli tatsächlich und lacht. Er dürfe das schließlich sagen, er sei doch jüdisch. Diesen Vorteil nütze er aus, um aus Tabus wieder Themen zu machen, über die man sprechen kann – wenn er etwa für eine Ausstellung in Berlin deutsche Juden-Witze sammelt. Über deren Existenz niemand sprechen wollte, wie er bald merkte – seine deutschen Freunde waren alle peinlichst berührt –, die man aber in ungeahntem Ausmaß im Internet fände, so Israeli. In Israel hätte die Ausstellung wohl zu einem Riesenskandal geführt.
Wie es auch seine Wiener Hänsel-undGretel-Interpretation tun würde: „Mich hat das Lebkuchenhaus immer an KZs erinnert. Außen verlockend – für die Ankommenden in den KZs spielte ja Musik, Arbeit sollte sie hier angeblich befreien, man bekam Seife und Handtuch zum ,Duschen‘. Doch hinter der Fassade wartete der Ofen“, so Israeli. Bleibt man in dieser Interpretation, ist die Hexe ein Nazi und gibt es ein Happy End. Das wohl nicht im Sinn der Gebrüder Grimm gewesen wäre: „Es gibt vier Grimm-Märchen, in denen Juden vorkommen“, weiß Israeli, „drei davon sind antisemitisch, in einem ist der Jude der Unschuldige.“Dieses Märchen, „Die klare Sonne bringt’s an den Tag“, gab der Wiener Ausstellung den Titel. Darin will ein Schneider einen Juden ausrauben, der behauptet, arm zu sein und es auch ist. Der Schneider glaubt ihm nicht, prügelt aus Zorn den Juden tot. Dessen letzter Satz sagt voraus, dass die Sonne einmal die Wahrheit ans Licht bringen würde. Als den mittlerweile reichen Schneider diese Sonne einmal blendet, erzählt er seiner Frau von seinem verheimlichten Mord. Fehler! Bald weiß es die ganze Stadt, der Schneider wird gehängt.
Eine andere Version, so Israeli, besagt, dass „die Vögel“die Wahrheit einmal an den Tag bringen werden. Im Hauptraum der Ga- lerie sind diese Vögel nun versammelt, zu einem auf langen Eisenstangen schwebenden Schwarm. Es sind geschnitzte Adler-Figuren, die Israeli im Internet aus deutschem und österreichischem Besitz zusammengekauft hat. Scheußliche Dinger, über deren Zweck und Ursprung man jetzt rätseln kann: Kommen sie aus Jagdstuben, aus Nazi-Kellern, aus monarchistischen Haushalten, aus rustikalen Wunderkammern? Ist das die Nazi-Version von Hitchcocks „Die Vögel“?
Warum sind gerade Nazi-Symbole so unangreifbar, so „heilig“für alle Seiten, fragt Israeli? Man denkt dabei an die Berghain-Tattoos auf seinen Unterarmen. Man denkt an eine seiner Aktionen, bei der er sich den gelben Judenstern ins Fleisch seiner Brust nähen ließ. Ohne neue Emotionen hineinzubringen, werde es nicht gehen, sagt er. Die Erinnerung, aus der wir für das Heute, für die Zukunft lernen könnten, werde verblassen.
Erez Israeli, „Die klare Sonne bringt’s an den Tag“: bis 1. April, Galerie Crone, Getreidemarkt 14, Wien 1.