Es ist Wahlhilfe für Merkel, wenn Erdo˘gan die Keule schwingt
Inzwischen kann es jeden oder jede in Deutschland treffen, Konservative, Linke, Alternative oder Rechte – von allen Seiten wird gedroschen.
Der eilige Vergleich mit den Nazis ist zum Hobby vieler Demagogen geworden.
Für Vielreisende im Gegengift gibt es in der Gastfreundschaft zwei Favoriten, die auf den ersten Blick erstaunlich zu sein scheinen: Berlin und Istanbul. In der toleranten deutschen Hauptstadt kann man am Paul-Lincke-Ufer bis zum Sonnenuntergang exotisch frühstücken. Auch Istanbul punktet mit nicht zu überbietender, türkischer Herzlichkeit. Nirgendwo sonst hat es so viele Jahrhunderte lang Weltstadtgefühl gegeben wie an der Grenze zwischen Europa und Asien, sogar Rom wirkt im Vergleich fast provinziell. In Byzanz weht für den, der es spüren will, noch im- mer der freie griechische Geist, zivilisiert durch römischen Ordnungssinn, dem die Osmanen noch schwungvolle Verzierungen zugefügt haben.
So betrübt es mich, dass zwischen zweien meiner Lieblingsländer nun ein Kompetenzstreit tobt. Wer darf Deutsche ungestraft Nazis nennen? Der türkische Staatschef meint es zu dürfen. Erdogans˘ Angriff auf Kanzlerin Merkel: „Ich dachte, dass der Nationalsozialismus in Deutschland beendet ist. Dabei dauert er immer noch an.“Paradoxerweise gründet seine Enttäuschung darin, dass er nach „Nazideutschland“fahren wollte, um vor deutschtürkischem Wahlvolk sein eigenes Demokratieverständnis zu predigen. Berlin will das nicht.
Ein Dilemma. Zu wem halten, in diesem okzidental-orientalischen Interessenkonflikt? Im Zweifel zu Berlin. Aber was sind die Motive für Erdogans˘ historischen Vergleich? Da fällt mir nur ein Paradox ein. Er will Merkel heimlich helfen und hält sich dabei an das Walser’sche Gesetz: Die Nazikeule verliert an Wirkung, je eifriger sie geschwungen wird. Ein Vergleich mit 1998 bestätigt das. Martin Walser hatte damals vor einer leichtfertigen Instrumentalisierung des Holocausts gewarnt: „Auschwitz eignet sich nicht dafür, Drohroutine zu werden, jederzeit einsetzbares Einschüchterungsmittel oder Moralkeule oder auch nur Pflichtübung“, sagte der Autor einst und rief einen Entrüstungssturm hervor. Typen wie Erdogan˘ aber bestätigen, dass Walser, zumindest, was die Abstumpfung betrifft, recht hatte.
Die Nazikeule ist zum Hobby von Demagogen geworden. Einst schwang sie Chavez,´ inzwischen verstorbener linksextremer Machthaber Venezuelas, gegen Frau Merkel, sie ist auch bei rechtsextremen Machos in Polen beliebt. Linksextreme Schwärmer an der Spitze Griechenlands nannten Finanzminister Schäuble (CDU) einen Nazi, zuvor traf seinen Vorgänger Steinbrück (SPD) solch ein Schlag – aus der politisch komplexen Schweiz!
In Berlin muss man sich vor solcher Nazi-Propaganda nicht fürchten. Manch einem kann sie sogar förderlich sein. 2003 wurde ein unauffälliger Deutscher im EU-Parlament von Italiens damaligem Premier Berlusconi heftig attackiert. Er sagte einem SPMandatar: „In Italien wird gerade ein Film über Nazi-Konzentrationslager gedreht, ich schlage Sie für die Rolle des Kapo vor. Sie sind perfekt!“Wer weiß, was aus dem heutigen Kanzlerkandidaten Schulz ohne diese Mithilfe eines Schlägers geworden wäre?