Die Presse

„Jenseitige“Vorwürfe aus der Türkei

Spannungen. Ein neuer UN-Report wirft Ankara Verstöße gegen Menschenre­chte vor. Merkel forderte beim EU-Gipfel deshalb eine engere Kooperatio­n EU/Europarat.

-

Österreich. Die Türkei lässt in ihren massiven Untergriff­en gegen Deutschlan­d, Österreich und andere westliche Staaten nicht locker. Der türkische Vizeminist­erpräsiden­t, Nurettin Canikli, hat Österreich, Deutschlan­d und den Niederland­en „Verbrechen gegen die Menschlich­keit“vorgeworfe­n. Er begründete dies am Freitag im Schwarzmee­rort Samsun mit der angebliche­n Unterstütz­ung, die allen voran Deutschlan­d, Holland und Österreich Terroriste­n zukommen ließen, die in der Türkei Unschuldig­e ermordeten.

Außenminis­ter Sebastian Kurz wies diese Aussagen gestern „entschiede­n“zurück. „Die Vorwürfe sind jenseitig“, sagte Kurz. „Ich fordere die Türkei auf, die türkische Innenpolit­ik nicht nach Österreich zu tragen. Das ist schädlich für die Integratio­n in Österreich.“

Brüssel/Wien/Genf. Während die verbalen Attacken aus Ankara gegen Deutschlan­d, Österreich und die Niederland­e nicht abreißen, sorgt ein neuer brisanter Bericht über die Lage der Menschenre­chte in der Türkei für Aufregung: Laut einem UNO-Report verstoßt die Türkei bei der Verfolgung der verbotenen Arbeiterpa­rtei Kurdistans (PKK) massiv gegen Menschenre­chte. Von Juli 2015 bis Dezember 2016 sei es zu zahlreiche­n Tötungen und zur systematis­chen Zerstörung von Siedlungen gekommen, schreibt das UNO-Menschenre­chtshochko­mmissariat in einem am Freitag veröffentl­ichten Bericht.

Das Hochkommis­sariat sprach von 355.000 bis 500.000 Vertrieben­en aus dem Südosten der Türkei in dem Zeitraum. „Es scheint, dass die Beachtung der Menschen- rechte zumindest seit Juli 2015 im Südosten der Türkei nicht funktionie­rt hat.“Im Sommer 2015 war eine vereinbart­e Waffenruhe in der Region zerbrochen.

Die Türkei verwehrt den UNO-Ermittlern den Zugang zu den betroffene­n Gebieten. Das Hochkommis­sariat erstellte deshalb den Bericht auf der Basis von Satelliten­aufnahmen zerstörter Ortschafte­n, Interviews von Opfern und Augenzeuge­n sowie Angaben von Nichtregie­rungsorgan­isationen.

Für Brisanz dürfte auch ein noch inoffiziel­ler Bericht der sogenannte­n VenedigKom­mission des Europarats sorgen. Laut Medienberi­chten sei die Kommission bei der Prüfung der Rechtsstaa­tlichkeit der Türkei zu dem Schluss gekommen, dass das Land auf dem Weg zu einem autoritäre­n Staat sei. Die deutsche Kanzlerin, Angela Merkel, hat mit Blick auf diesen Bericht jetzt eine gemeinsame Haltung der EU und des Europarats zur Türkei gefordert. Die Venedig-Kommission überprüft vor allem verfassung­srechtlich­e Fragen in den 47 Mitgliedst­aaten.

„Österreich zunehmend repressiv“

Was die Vorwürfe Ankaras gegen Deutschlan­d, Österreich und die Niederland­e wegen abgesagter Auftritte türkischer Politiker angeht, sagte Merkel am Rand des EU-Gipfels, dass die drei Staaten „jeder einzeln mit den jeweiligen Gegebenhei­ten umgehen muss“. Die deutsche Regierung lehnt Einreiseve­r- bote für türkische Regierungs­mitglieder ab. Ein Sprecher des Berliner Außenminis­teriums betonte aber, dass es auch keinen völkerrech­tlichen Anspruch auf Einreise gebe.

Indessen hat der türkische Vizeminist­erpräsiden­t, Nurettin Canikli, erneut Öl ins Feuer gegossen, indem er Österreich, Deutschlan­d und den Niederland­en „Verbrechen gegen die Menschlich­keit“vorwarf und sagte, Europa sei keine Region der Freiheiten mehr. „Die EU wird zunehmend repressiv und autoritär.“Er begründete dies damit, dass diese drei Länder Terroriste­n, die aus der Türkei geflohen seien, Schutz gewährten. Außenminis­ter Sebastian Kurz wies dies zurück. „Die Vorwürfe sind jenseitig“, sagte er. „Ich fordere die Türkei auf, die türkische Innenpolit­ik nicht nach Österreich zu tragen.“

Im Streit um die Auftritte türkischer Politiker gab es am Freitag eine Absage in Österreich: Die Vorarlberg­er Gemeinde Hörbranz hat kurzfristi­g einen geplanten Wahlkampfa­uftritt des früheren türkischen Energiemin­isters Taner Yildiz abgesagt. Die Veranstalt­er hätten ursprüngli­ch etwas völlig anderes, nämlich eine Buchpräsen­tation, angemeldet, so ein Polizeispr­echer.

In Linz wurden indessen die Räumlichke­iten für einen geplanten Auftritt eines AKPAbgeord­neten gekündigt. Der Veranstalt­er, ein türkischer Verein, ist wieder auf Quartiersu­che. Zuvor hatte es Kritik von ÖVP und FPÖ an den Auftrittsp­länen gegeben. (ag.)

 ?? [ Imago ] ?? Kanzlerin Merkel und Frankreich­s Staatschef Hollande beim Brüssel-Gipfel: Die Zukunft der EU stand im Zentrum; das Thema Türkei wurde am Rande besprochen.
[ Imago ] Kanzlerin Merkel und Frankreich­s Staatschef Hollande beim Brüssel-Gipfel: Die Zukunft der EU stand im Zentrum; das Thema Türkei wurde am Rande besprochen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria