Wo einer immer recht hat
Was verbindet den Front National mit den Befürwortern des britischen EU-Austritts, den polnischen Nationalkonservativen und dem griechischen Linksbündnis Syriza? Welche Gemeinsamkeiten haben Nigel Farage von der United Kingdom Independence Party, AfDAushängeschild Frauke Petry, der FPÖ-Vorsitzende Heinz-Christian Strache und der protzige Politselfmademan Donald Trump? So unterschiedlich ihre Anliegen und Argumente sein mögen, eines haben sie gemein: Sie gelten als Populisten. Der Populismus ist die Klammer, die diese unterschiedlichen Parteien und Figuren zusammenhält, und der kleinste gemeinsame Nenner, auf den sich ihre Widersacher einigen können.
In seiner ursprünglichen Bedeutung ist der Begriff wertneutral und bezeichnet wahlweise eine „um Volksnähe bemühte Politik“(Brockhaus) oder „politische Ideen und Aktivitäten, die darauf abzielen, größtmögliche Unterstützung seitens der Bevölkerung zu erhalten“(Cambridge Dictionary). Mittlerweile aber hat sich eine negative Konnotation durchgesetzt: Wenn heute von Populismus gesprochen wird, werden meistens die Begriffe Opportunismus, Demagogie, Skrupellosigkeit, Fremdenfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit mitgedacht. Insofern verwundert es nicht, dass die allermeisten Politiker, die von ihren Widersachern so tituliert werden, sich nicht als Populisten sehen, sondern vielmehr als „Patrioten“, „Nationalkonservative“oder, sofern sie am linken Rand des politischen Spektrums zu finden sind, als „progressive Internationalisten“.
Insgesamt hat der Populismus also eine üble Nachrede – doch was macht ihn eigentlich aus? Einer der Gründe dafür, dass er als Kampfbegriff geradezu inflationär verwendet wird, ist die Tatsache, dass es erstens keine allgemeingültige Definition des Populismus gibt, er sich zweitens wunderbar als Projektionsfläche für alle möglichen Ängste eignet und er drittens gerne als Totschlagargument benutzt wird, um Rivalen zu diskreditieren. „Als populistisch bezeichnen Eliten all jene Forderungen, die bei einfachen Bürgern Anklang finden, bei ihnen selbst aber nicht“, stellte der US-Politologe Francis Fukuyama ironisch fest.
Wer den Populismus vermessen will, geht am besten nach dem Ausschlussprinzip vor und klammert zu Beginn all das aus, was ihn nicht ausmacht. Zunächst einmal ist der Populismus nicht (beziehungsweise nicht zwangsläufig) antidemokratisch. Die populistischen Gruppierungen haben meistens eigene, nicht sonderlich liberale Vorstellungen davon, wie Demokratie zu funktionieren hat (beispielsweise indem politische Entscheidungen per direkter Akklamation seitens des Wahlvolks gefällt werden oder das fein austarierte Gleichgewicht von Exekutive, Legislative und Jurisdiktion infrage gestellt wird); für die Etablierung einer Diktatur setzt sich aber niemand ein. Das hat einen guten Grund, denn die Unterstützer der Populisten wünschen sich im Regelfall nicht die Zertrümmerung der bestehenden Ordnung, sondern die Rückkehr zur „guten alten Zeit“– und sie meinen damit nicht den Führerstaat, sondern die Wirtschaftswunderjahre, als das Wachstum ungebrochen, die Arbeitsplätze reichlich vorhanden, die Gesellschaften homogen und die internationalen Verhältnisse überschaubar waren.
geboren 1973 in Warschau, Studium in Wien und Tokio, arbeitet derzeit als Korrespondent der „Presse“in Brüssel. 2015 mit dem Europa-Staatspreis der österreichischen Bundesregierung ausgezeichnet.
Buch über die Politik der Populisten, „Fürchtet euch und folgt uns“, erscheint dieser Tage bei Kremayr & Scheriau, Wien (224 S., geb., € 24). Präsentation: am 14. März in der Buchhandlung Thalia in Wien, Mariahilfer Straße 99. Beginn 19 Uhr. Moderation: Cornelia Vospernik. So fand etwa der Politikwissenschaftler Philip Klinker im Vorfeld der US-Präsidentenwahl im November 2016 heraus, dass jene (weißen) Wähler, die Ressentiments gegenüber Afroamerikanern und Muslimen hegen, tendenziell Trump unterstützten und die demokratische Kandidatin Hillary Clinton ablehnten.
Einen ähnlichen Zusammenhang scheint es beim Referendum über den EU-Austritt Großbritanniens im Juni 2016 gegeben zu haben: Wer für den Brexit stimmte, war gegen Einwanderung. Dieser Erklärungsansatz ist aber aus mindestens zwei Gründen problematisch. Erstens, weil derartige Untersuchungen nur einen einzigen Aspekt hervorheben und alle anderen Variablen ausblenden. Wer allerdings schon einmal selbst gewählt hat, weiß aus eigener Erfahrung, dass sich die Wahlentscheidung nie auf ein einziges Motiv reduzieren lässt. Anders ausgedrückt: Dass es einen Zusammenhang zwischen Brexit und Einwanderung gibt, ist relativ gut dokumentiert. Mittlerweile gibt es aber auch zahlreiche Untersuchungen, die einen ebenfalls robusten Zusammenhang zwischen Brexit und dem wirtschaftlichen Wettbewerb mit dem Ausland ermittelt haben. Was stimmt nun? Vermutlich beides, bis zu einem gewissen Grad.
Auch beim Ergebnis der Präsidentenwahl in den USA lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Es stimmt zwar, dass eine Mehrzahl der weißen US-Bürger Trump unterstützte, wahlentscheidend für seinen Erfolg war allerdings die Tatsache, dass weiße Wähler, die vier Jahre zuvor Barack Obamas Hautfarbe ignoriert und für ihn gestimmt hatten, diesmal die Seiten wechselten. Die „Überläufer“zu Trump waren vor allem Menschen mit einem niedrigen Bildungsund Einkommensniveau in wirtschaftlich benachteiligten Regionen, fanden Experten des Thinktanks Resolution Foundation heraus – was darauf hindeutet, dass der Faktor Wirtschaft nicht unterschätzt werden sollte. Der zweite Grund für Skepsis: Wer den Rassismus für die Hauptursache des populistischen Erfolgs hält, geht implizit davon aus, dass seine Ausbreitung starken Schwankungen unterliegt. Wäre beispielsweise in Österreich die Fremdenfeindlichkeit der wahlentscheidende Faktor für die Freiheitlichen, dann müsste der Anteil der xenophoben Österreicher von 27 Prozent im Jahr 1999 (so viel Prozent der Stimmen holte die FPÖ bei der damaligen Nationalratswahl) auf zehn Prozent im Jahr 2002 gefallen und seither wieder auf 35 Prozent – den Stimmenanteil des FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer bei der ersten Runde der Bundespräsidentenwahl im April 2016 – angestiegen sein. Aus der Sozialforschung weiß man allerdings, dass kulturelle und moralische Werte in einer Gesellschaft relativ fest verankert sind.
Wenn also Ausländer- und Demokratiefeindlichkeit nur eingeschränkt dazu taugen, den Populismus zu definieren, was sind dann seine Erkennungsmerkmale? Auf diese Frage gibt es mindestens drei Antworten. Betrachtet man die Angelegenheit aus rein „handwerklicher“Perspektive, dann ist der Populismus nichts anderes als eine Palette von Kommunikationsmethoden zur Beeinflussung der Wähler und Neutralisierung politischer Gegner. Die Kunst der verbalen Manipulation war im Altertum als Rhetorik bekannt und genoss hohes Ansehen. Wer in der Agora von Athen oder auf dem Forum Romanum nicht reüssieren konnte, brachte es in der antiken Politik nicht weit.
Einer der ersten Gelehrten, der den Versuch unternahm, die Prinzipien der Rhetorik schematisch darzulegen, war Aristoteles. Seinen Ausführungen zufolge ruht jede erfolgreiche Rede auf drei Säulen: Ethos, Pathos und Logos. Ethos etabliert den Redner als moralische Instanz, er untermauert seine Glaubwürdigkeit und Autorität. Pathos ist der Appell an die Emotionen der Zuhörer. Und Logos ist die inhaltliche Kraft der Argumente. Nimmt man diese Dreiteilung als Maßstab für den Populismus des frühen 21. Jahrhunderts, dann könnte man meinen, die heutigen Volkstribunen würden den Logos vernachlässigen und im Gegenzug über einen Überschuss an Pathos verfügen.
So weit das Handwerk. Doch wie steht es um die Inhalte? Diesbezüglich geben sich