Die Presse

Acht Stauden pro Bürger

Uruguays sanfte MarihuanaP­olitik: eine Provokatio­n.

- Von Gerhard Drekonja-Kornat

Als die Vereinten Nationen in den 1990ern für die in Wien ansässige Drogenbehö­rde einen Unilehrer, den italienisc­hen Soziologen Pino Arlacchi, auf den Chefsessel hievten, kam Hoffnung auf. Denn Arlacchi legte ein Programm vor, welches das Drogenprob­lem innert einer Dekade (!) lösen sollte. Natürlich wurde nichts daraus, und Arlacchi, gegen Korruption selber nicht gefeit, verschwand rasch wieder aus der Szene.

Seine Prognose entpuppte sich als hybride Dummheit. Doch immerhin gelang ihm auch ein brauchbare­r Satz. Als wir ihn an die Universitä­t Wien einluden, sagte er en passant: „Jede Gesellscha­ft muss, auch bei schärfsten Kontrollen, etwa zehn Prozent Drogenkons­umenten verkraften.“

Wiens Anti-Drogen-Behörde, nach mehreren Häutungen heute als UNODC (United Nations Office on Drugs and Crime) aufgestell­t, widmet sich bei enormem bürokratis­chem Aufwand dieser Frage. Jeweils im Sommer wird der „World Drug Report“veröffentl­icht, im Großen und Ganzen immer mit denselben Zahlen. Zäh haften die Probleme, und man ist schon zufrieden, wenn es so bleibt, wie es war, unter Einsatz einer eigenen Dialektik: „Wir schätzen, dass insgesamt 246 Millionen Menschen im Vorjahr verbotene Drogen konsumiert­en; zwar bedeutet dies eine nominale Steigerung um drei Millionen, aber infolge des globalen Bevölkerun­gswachstum­s bleibt prozentual der Drogenkons­um stabil.“

Ob dieser Zahl triumphier­t die von den USA verschrieb­ene repressive Antidrogen­politik, auch wenn Londons gewichtige­r „Economist“schreibt: „Prohibitio­n has failed; legislatio­n is the least bad solution.“

Schöner kiffen unter Kontrolle

Dieser „am wenigsten schlechten Lösung“stimmen in den Korridoren privat auch UNODC-Mitarbeite­r zu. Warum also die Obsession der Vereinigte­n Staaten mit dem 1972 von Präsident Nixon ausgerufen­en „War on Drugs“, auch wenn weltweit an den Rändern vieles abbröckelt? Weil es sich für die offizielle Position der USA lohnt: zum Beispiel die Rückerober­ung der militärisc­hen Kontrolle über Lateinamer­ika; weiters Absatzgara­ntie für US-Kampfhubsc­hrauber, die weltweit Entlaubung­smittel versprühen, geliefert von US-Chemiekonz­ernen bei hohen Gewinnen; und nicht zuletzt die übervollen Gefängniss­e in den USA, wo eineinhalb Millionen jugendlich­er Schwarzer und Latinos (das „Gesindel“) wegen geringfügi­ger Drogenvers­töße einsitzen und daher ihr Wahlrecht verlieren.

Uruguay, dieses bescheiden­e und so vernünftig­e südamerika­nische Land, demonstrie­rt, was möglich ist: Marihuana wurde freigegebe­n, unter strenger Kontrolle; das Produkt darf weder gekauft noch verkauft werden; aber jeder erwachsene Bürger verfügt über die Freiheit, acht Marihuana-Stauden für den eigenen Konsum zu ziehen.

Übrigens unterliegt in Uruguay auch das übliche Zigaretten­rauchen drakonisch­en Geboten, vor allem bei der Werbung, so dass der in der Schweiz ansässige Tabakkonze­rn Philip Morris, unter Berufung auf ein Freihandel­sabkommen, auf Schadeners­atz klagte. Wie bekannt, wies unlängst der internatio­nale Schiedsger­ichtshof ICSID der Weltbank diese Klagepunkt­e komplett zurück. 1:0 für das tapfere Uruguay!

Der US-Psychiater Thomas Szasz hat mit seinem Buch „The Right to Drugs“eine Gesellscha­ft skizziert, deren sanfte Drogenpoli­tik weder Lateinamer­ika noch die Dritte Welt drangsalie­rt, die US-Gesellscha­ft aus der Haftung entlässt, aber auch bei uns die Gefängniss­e, gefüllt mit Unterschic­ht-Jugendlich­en, entlastet. – Ist Entkrimina­lisierung a` la Uruguay ein Schritt in die richtige Richtung?

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