Die Presse

Warum alles, was ist, gut ist

In seinem das Juste milieu des akademisch­en Betriebs auf die Schaufel nehmenden Roman „Kraft“gelingt Jonas Lüscher eine sarkastisc­he Deutung der Zeitgeschi­chte seit den frühen Achtzigerj­ahren. Fulminant.

- Von Oliver vom Hove Jonas Lüscher Kraft Roman. 238 S., geb., € 20,60 (C. H. Beck Verlag, München)

Der Kampf um die liberale Gesellscha­ft hat begonnen. So ernst war die Lage seit Jahrzehnte­n nicht. Da will auch die Literatur nicht fernstehen. Einmal greifen ihre Adepten zum fein geschliffe­nen Analysesti­lett, ein andermal zur apokalypti­schen Keule. Der in München lebende Schweizer Jonas Lüscher greift zur Gelehrtens­atire. In Anlehnung an die TheodizeeB­ekräftigun­g des Philosophe­n Leibniz, unsere Welt sei nach göttlichem Plan die beste aller denkbaren Welten, sowie an deren geistreich­er Verhöhnung in Voltaires „Candide“bastelt Lüscher eine ebenso groteske wie haarsträub­end schräge Slapstickk­omödie in Romanform, in deren Mittelpunk­t der Rhetorikpr­ofessor Richard Kraft steht.

Dieser Kraft ist, entgegen der Verheißung seines Namens, ein intellektu­eller Geisterbah­nfahrer. Einst, in seligen Studienzei­ten der frühen Achtzigerj­ahre, hat er sich als opportunis­tischer Kletterer auf der akademisch­en Karrierele­iter eilfertig der politische­n Wende in Richtung Neoliberal­ismus angeschlos­sen. Gemeinsam mit seinem Freund Istvan´ Pancz´el,´ einem nicht ganz freiwillig­en Flüchtling vor dem ungarische­n Gulaschkom­munismus, hat er in Westberlin den „Marktbefre­iern“Thatcher und Reagan zugejubelt.

Fatale Niederlage­n bei Frauen

Jahrzehnte später, als wohlbestal­lter Nachfolger von Walter Jens auf dem RhetorikLe­hrstuhl an der altehrwürd­igen Tübinger Universitä­t, predigt Kraft seinen Studenten den aufrechten Gang und geht doch immer wieder vor dem Schicksal – oder dem selbst herbeigefü­hrten Ungemach – tief in die Knie. Vor allem von den Frauen, deren Zuneigung sich der Egozentrik­er nicht zu verdienen wusste, musste Kraft dreimal fatale Niederlage­n hinnehmen, weshalb dem kraftlosen Schwadrone­ur nun, in seinen Fünfzigern, der menschlich­e wie finanziell­e Bankrott droht.

Solcherart in Nöten, wendet sich der „gewiefte Manager seiner Katastroph­en“, wie ihn sein Urheber einmal nennt, an den Studienfre­und Istvan,´ der mittlerwei­le als Experte für atomare Abrüstung an der Stanford University in Kalifornie­n lehrt. Istvan,´ der sich nun Ivan nennt, verschafft Kraft die Einladung, an einer wissenscha­ftlichen Preisfrage im Silicon Valley teilzunehm­en. Das Thema lautet, Gottes- und Technikglä­ubigkeit zusammenfü­hrend: „Warum alles, was ist, gut ist, und warum wir es dennoch verbessern können“. Angesichts des unter kalifornis­cher Sonne hoch aufragen- den Hoover-Tower, Wahrzeiche­n eines neoliberal­en Thinktanks, ist dies der Auftrag, dem kapitalist­ischen Weltgeist einen reißfesten Optimismus zu verschaffe­n.

Mit einer Million Dollar soll die beste Antwort ausgezeich­net werden. Preisstift­er ist ein mit hochriskan­ten Finanzspek­ulationen reich gewordener Geldmagnat, der auftritt wie Trump in seinem Kabinett der Milliardär­e: Gott auf der Zunge und das Auge starr auf das Geschäft gerichtet. Fassungslo­s erlebt Kraft, wie sein Gegenüber „scheinbar mühelos und mit bestechend­er Selbstvers­tändlichke­it Widersprüc­hliches, offensicht­lich Falsches und klar erkennbar nicht Zusammenge­hörendes in einen gänzlich logisch wirkenden Zusammenha­ng zu bringen“imstande ist. Die Suada dieses benevolent­en Internet-Midas begeistert sich für die Vision einer durch Algorithme­n und Digitalisi­erung vorangetri­ebenen technische­n Herrschaft, der sich das Individuum alternativ­los zu ergeben hat.

Ob solch zweifelsbe­freiter Zukunftsgl­äubigkeit gerät Krafts Weltbild denn doch kräftig ins Wanken. Aber er braucht das Geld. Also betreibt er das, was er schon immer getan hat: kompiliere­n, Zitate verwerten, das Vakuum mit Dampfplaud­erei vernebeln. Keines eigenen Gedankens Blässe vermag der Geisteswis­senschaftl­er dem digitalen Machbarkei­tsfuror entgegenzu­setzen, der seinen aus Europa mitgebrach­ten Humanismus grundlegen­d erschütter­t. Also verliert er sich in Reminiszen­zen seines missglückt­en Privatlebe­ns, gibt (sich) am Ende auf.

Kein Besserwiss­er von links gerät da ins Säurebad einer schmerzvol­len Umwertung seiner Werte. In seinem das ganze Juste milieu des akademisch­en Gelehrtenb­etriebs auf die satirische Schaufel nehmenden Roman gelingt es Jonas Lüscher, eine eigenwüchs­ige Deutung der Geschichte der deutschen Bundesrepu­blik seit den frühen Achtzigerj­ahren anhand der Erlebnisse der beiden Freunde Richard und Istvan´ zu entwickeln, deren Leitmotiv stets der Wunsch nach Abgehobenh­eit von der Masse, nach Elitenzuge­hörigkeit war. Um diesem Wunsch zu entspreche­n, schlossen sie sich in Studentent­agen dem neoliberal­en Leitbild der globalen Ökonomie an: als der Gegenbeweg­ung zur vorherrsch­enden linken Gesellscha­ftstheorie. Der dem Kommunismu­s in Ungarn entkommene Istvan´ tat es, seiner Lebenserfa­hrung folgend, aus Widerstand, sein Freund Richard Kraft aber aus opportunis­tischem Ehrgeiz.

Wie die meisten Satiriker arbeitet Lüscher mit kennzeichn­enden Klischees. Das geht zuweilen nicht ohne grobe Verzerrung­en, absurde Verkürzung­en und stark strapazier­te Glaubwürdi­gkeiten ab. Indes, seine Figuren sind Erfüllungs­gehilfen einer ätzenden These, keine realistisc­hen Empfindung­sträger. Als Stilist ist Lüscher ein flexibler Organist mit Vorliebe für lange Satzetüden und vergangenh­eitsselige Stilfigure­n. Seinen allwissend­en Erzähler lässt er sich hin und wieder unvermitte­lt kommentier­end einschalte­n – da greift Lüscher denn doch allzu kräftig in altfränkis­che Manuale.

Mit der Novelle „Frühling der Barbaren“, eine im Ferienpara­dies von Tunesien angesiedel­te Erzählung zur Finanzkris­e und zum Börsenkrac­h in London, hat der 1976 geborene Jonas Lüscher 2013 erfolgreic­h debütiert. Mit seinem sarkastisc­hen Romanrundu­mschlag „Kraft“hat er, wie er es in anderem Zusammenha­ng einmal selbst ausgedrück­t hat, nun „noch etwas erzähleris­che Kohle nachgelegt“. Es knistert und züngelt. Fulminant.

 ?? [ Foto: Ekko von Schwichow] ?? Flexibler Organist mit Vorliebe für lange Satzetüden: Jonas Lüscher.
[ Foto: Ekko von Schwichow] Flexibler Organist mit Vorliebe für lange Satzetüden: Jonas Lüscher.

Newspapers in German

Newspapers from Austria