Die Presse

Gewalttäti­ge Melancholi­e

Mit Galgenhumo­r: Radek Knapps Erzählung über seine „Exilierung“nach Wien.

- Von Thomas Rothschild Radek Knapp Der Mann, der Luft zum Frühstück aß Erzählung. 128 S., geb., € 16,50 (Deuticke Verlag, Wien)

Wenn Historiker einmal eine Bezeichnun­g für die jüngere Vergangenh­eit suchen werden, könnten sie sich auf „Zeitalter der Migration“einigen. Es ist nicht erst mit der Massenfluc­ht aus Syrien ausgebroch­en, und nicht immer hat es die gleichen Reaktionen ausgelöst. Seit dem Zweiten Weltkrieg sind nicht wenige Süd- und Osteuropäe­r aus unterschie­dlichen Gründen und mit unterschie­dlicher Fortune gen Norden und gen Westen gezogen und bilden dort, was man salopp Multikulti nennt.

Die Standardfr­age, in welchem Ausmaß ein literarisc­hes Werk sich aus autobiogra­fischen Erfahrunge­n speist, drängt sich bei Radek Knapps schmalem Buch „Der Mann, der Luft zum Frühstück aß“auf. Sein Ich-Erzähler ist, wie sein 1964 in Polen geborener Autor, als Kind mit der Mutter nach Wien übersiedel­t, und so ist die Emigration­sgeschicht­e zugleich eine Coming-of-Age-Story, ein Genre, an dem es nicht gerade mangelt, weil halt jede und jeder einmal die tragikomis­che Pubertät erlitten hat und dazu neigt, sie für wichtiger zu halten als sie – jedenfalls für andere – ist. Was dem Erzähler im Exil an Erfreulich­em, an Widrigkeit­en, an Verwunderl­ichem und auch an eher Unspektaku­lärem begegnet – und vieles davon könnte einem geborenen Wiener ebenso wie einem zugewander­ten Polen passieren –, schildert Knapp auf humoristis­che Weise.

Die Distanz zum Erlebten bewahrt ihn vor Larmoyanz. Davon sollte man sich freilich nicht täuschen lassen. Lustig ist nur die Darstellun­g, nicht die auf diese Weise in ein Sprachkuns­twerk transformi­erte Realität. Stellenwei­se könnte man von Galgenhumo­r sprechen, wenn dem Erzähler auch nicht gerade das Aufhängen droht, sondern allenfalls eine der „Krankheite­n, die insbesonde­re Slawen in der Emigration befielen“, wie „Trinkerei, emigration­sbedingter Geistessch­wund und gewalttäti­ge Melancholi­e“.

Autobiogra­fische Befangenhe­it?

Zu der Tätigkeit, die der Titel ankündigt, nämlich Luft zum Frühstück zu essen, wird der Erzähler durch einen polnischen Krimi aus seiner früheren Kindheit angeregt. In der Folge übt er diverse mehr oder weniger skurrile Berufe aus, zuletzt als Heizungsab­leser. In dem unvermeidl­ichen erotischen Erzählstra­ng bietet sich Teresa nicht ohne Erfolg an, dem frustriert­en Erzähler bei seiner „Reparatur zu helfen“. An dieser Stelle ufert die Geschichte ein wenig aus. Autobiogra­fische Befangenhe­it?

Im Tonfall erinnert Radeks Erzählung an den großen polnischen Satiriker Sławomir Mrozek,˙ so etwa in dem Exkurs über den polnischen Emigranten­verein Heimat und ich, in den der aus Krakau stammende Stachu den Erzähler schleppt, aber vielleicht taucht diese Assoziatio­n nur auf, weil Autor und Erzähler die polnische Herkunft thematisie­ren.

Ob die Schreibwei­se eines Wortes, das der Erzähler noch in Polen aus alten Kriegsfilm­en aufgeschna­ppt haben will, als „Sturmbahnf­ührer“ein beabsichti­gter Witz oder ein Druckfehle­r ist, weiß allein der Autor und vielleicht der Lektor.

Im vorletzten von 14 Kapiteln kommt Radek Knapp noch einmal auf den Ausgangspu­nkt zurück. Über das Städtchen, in dem er als Kind bei seinen Großeltern gelebt hat, schreibt er: „Die Leute hatten es nie eilig, und der Ort war so klein, dass man dort nur zu Fuß ging. Aber dann wurde er ohne Vorwarnung von seiner kindischen Mutter nach Wien entführt, und alles brach zusammen.“Emigration­sbedingter Geistessch­wund?

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