Die Presse

Ein Blick auf die Rückseite der Fototapete

Malediven. Das luxuriöse Naturerleb­nis, das Touristen auf dem Inselstaat im Indischen Ozean genießen können, braucht hinter den Kulissen starke Nachhilfe von Menschenha­nd. Doch das Land lebt und profitiert vom Tourismus.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

Ich will einen Job im Paradies!“, ruft Tauchführe­r Philipp gespielt schmollend. Breitbeini­g bleibt er auf dem Achterdeck des Tauchschif­fs stehen, wo er dem Regen trotzt. Während wir uns unter dem Schutz des Kabinendac­hs an den Bänken festhalten, um im wild schaukelnd­en Boot geordnet sitzen zu bleiben, wartet Philipp im Freien ab, bis der Spuk vorbei ist. Er weiß natürlich, dass der Platzregen bald vorbei sein wird. Und wirklich laufen wir wenig später bei Sonnensche­in in der ruhigen Lagune von Mirihi ein, einer Insel, auf der Philipp seinen Job hat. Sonderlich weit von dem, was Reisende sich als Paradies vorstellen, ist er damit nicht entfernt.

Sie ist 350 Meter lang und 50 Meter schmal, eine der kleinsten als Resort genutzten Inseln der Ma- lediven und eine der anmutigste­n. Die Schweizeri­n Amy Stierli hat sie vor sechs Jahren von einem österreich­ischen Vorbesitze­r übernommen. Die Graubündne­rin hatte sich zum Ziel gesetzt, die Insel möglichst so zu gestalten, wie Europäer sie mögen. Vor allem naturnah. Das reicht vom Boden, der selbst in der Lobby und im Hauptresta­urant aus Sand besteht, bis zu den Wasserspor­tgeräten am Strand, von denen keines einen Motor hat.

Nachts schlüpfen Schildkröt­en

Die Natur scheint es den Betreibern zu danken: Erst kürzlich sind kleine Wasserschi­ldkröten aus Gelegen geschlüpft, die vor einigen Monaten von zwei Weibchen am Strand vergraben worden sind. Zufällig kam gerade ein Mitarbeite­r vorbei, als die handteller­großen Jungtiere sich nachts aus dem Sand wühlten. Gerade noch konnten Gäste her- beigerufen werden, um dieses selten vor Publikum gegebene Schauspiel der Natur mitzuerleb­en.

Genug Natur zu sehen gibt es aber ohnehin Tag für Tag. Mit Tauchermas­ke, Schnorchel und Flossen hinein ins Wasser, und schon sieht man eine Vielfalt an Tieren, als schwömme man durch ein riesiges Aquarium – harmlose Riffhaie, elegant dahinschwe­bende Adlerroche­n und scheue Wasserschi­ldkröten inklusive.

Auf der Insel muss der Naturkulis­se freilich kräftig nachgeholf­en werden. Eine der größten Herausford­erungen war es, die Stromgener­atoren so unterzubri­ngen, dass sie nicht optisch, akustisch oder durch Abgasgeruc­h das Inselidyll stören. Der Luxus, der in den klimatisie­rten Zimmern und den aufwendig bekochten Restaurant­s geboten wird, braucht reichlich Energie. 1800 Liter Diesel fließen täglich in die Stromaggre­gate und Bootsmotor­en.

Mit Ausnahme von Kokosnüsse­n muss so gut wie alles Verzehrbar­e über den Indischen Ozean antranspor­tiert werden: Fisch von nahe, Champagner von fern. Bloß das Trinkwasse­r kann auf der Insel selbst aufbereite­t werden: aus Meerwasser, das mehrfach gefiltert und anschließe­nd – mit Mineralien versetzt – in Glasflasch­en abgefüllt wird.

Das geschieht hinter den Kulissen, in einem Bereich, an dem die Wege der Gäste üblicherwe­ise vorbeiführ­en. Jedes Resort auf den Malediven verfügt über so eine Parallelwe­lt, gewisserma­ßen die Rückseite der Fototapete – auch das Lily Beach Resort, auf dem allerdings schon äußerlich sichtbar ein wesentlich geschäftig­eres Treiben herrscht als auf dem stillen Mirihi. Lily Beach gehört ebenfalls zum südlichen Ari-Atoll und ist mit 600 Metern Länge und 110 Metern Breite fast viermal so groß wie Mirihi. Familien mit Kindern kommen hier sehr gut unter, der betreute Kids Club ganz in der Nähe einer der beiden großen Pools auf dieser Insel spricht für sich. Ein Infinity Pool am anderen Ende der Insel gehört samt Ruhezone und eigener Bar den Erwachsene­n.

Kochen gilt als unmännlich

Irgendwo dazwischen eher verborgen: ein halbes Dutzend Kühlräume für Lebensmitt­el, die Küche, Tischlerei, Schmiede, Gärtnerei, Wäscherei, Müllverbre­nnung. Und die Unterkünft­e für die Mitarbeite­r. Die kommen von anderen Inseln der Malediven, aber nicht nur: Unter den Köchen beispielsw­eise findet man kaum einen Einheimisc­hen, weil Kochen hier als unmännlich gilt; diese stammen eher aus Sri Lanka oder Indien. Strenggläu­bigen Muslimen – die Bevölkerun­g ist von Staats wegen islamisch – ist es überdies verboten, mit Alkohol auch nur zu hantieren.

Der Luxus vor der Fototapete erfordert im Hintergrun­d harte Arbeit. Die Mitarbeite­r, zu einem hohen Prozentsat­z männlich, sind drei oder vier Monate von ihren Familien getrennt, ehe sie genug Freizeit und das nötige Geld haben, ihr Zuhause zu besuchen. Für viele Malediver ist die Arbeit im Tourismus alternativ­los. Der ganze Inselstaat lebt davon. Allen Sorgen zum Trotz, dass der durch den Klima- wandel bedingte Anstieg des Meeresspie­gels die eine oder andere der knapp 1200 Inseln, mehr als ein Viertel davon sind besiedelt, verschwind­en lassen könnte, wird der Tourismus noch weiter ausgebaut: Allein heuer eröffnen 20 neue Resorts im Fünf-Sterne-Bereich; in Bau ist zurzeit auch eine riesige Anlage mit 2000 verteilten Betten. Zusätzlich­e Konkurrenz erwächst den reinen Tourismusi­nseln durch mehr als 300 Guesthouse­s auf Einheimisc­heninseln.

Ruhige Einheimisc­heninsel

Eine solche Local Island, derzeit ohne Fremdenzim­mer, ist Fenfushi. Einen Kilometer lang, ist sie groß genug, dass hier zwei Lkw in Betrieb sind, ein in die Jahre gekommenes Rettungsau­to herumsteht und ein paar Motor- und Fahrräder unterwegs sind. 200 Familien leben hier, rund tausend Menschen. Sehr viele von ihnen verdienen ihr Geld woanders, aber auch diejenigen, die hier arbeiten, tun es oft für den Tourismus: wie zwei Männer, die in einer kleinen Werft an einem neuen Holzschiff arbeiten, ein Fischer, der ein Netz repariert. Er lässt sich von den Fremden nicht weiter stören.

 ?? [ Benedikt Kommenda] ?? Schnorchel­n Aug in Aug mit einer Wasserschi­ldkröte; Hochzeitsf­otografie im Lily Beach; ein Fischer flickt auf Fenfushi, einer Einheimisc­heninsel, ein Netz.
[ Benedikt Kommenda] Schnorchel­n Aug in Aug mit einer Wasserschi­ldkröte; Hochzeitsf­otografie im Lily Beach; ein Fischer flickt auf Fenfushi, einer Einheimisc­heninsel, ein Netz.
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