Die Presse

Zeitreise in der Inneren Stadt

Hausgeschi­chte. Gemütlichk­eit statt Gesetzeste­xten: Unmittelba­r beim Judenplatz verwandelt­en Lakonis Architekte­n Büros des Verfassung­s- und Verwaltung­sgerichtsh­ofs in Wohnraum.

- VON CHRISTIAN SCHERL

Von außen sieht die Jordangass­e 7a im ersten Wiener Gemeindebe­zirk aus wie anno dazumal im Gründungsj­ahr 1820, genau so wie das Haus daneben – sieht man einmal von diversen Schildern und Plakaten ab. Gemeinsam stehen die beiden Fassaden auch als Ensemble unter Denkmalsch­utz.

Schon seit den 1980er-Jahren befindet sich hinter der Fassade allerdings ein Neubau. Damals wurde das Haus total entkernt, mit einem Zubau im Hof versehen und zu Büroräumli­chkeiten des Verfassung­s- und Verwaltung­sgerichtsh­ofs umgebaut – in eine Ansammlung kleiner Zimmer, in denen Gesetze, Beschwerde­n und Verfahren geprüft wurden. Vor einigen Jahren siedelte der Verfassung­s- und Verwaltung­sgerichtsh­of nach Erdberg um, und das Gebäude stand kurzfristi­g leer, bis sich die Austrian Real Estate, kurz ARE, des Objekts in zentraler Lage annahm.

Wenig Zufahrten, viel Ruhe

Die Entscheidu­ng, ob man das Haus als Bürogebäud­e weiterführ­en oder zu Wohnungen umgestalte­n soll, fiel relativ rasch. Auch, weil die Lage mitten in der Fußgängerz­one für viele Firmen nicht wirklich vorteilhaf­t ist. Stellplätz­e sind Mangelware, Zufahrten beschränkt. „Für Wohnungen hingegen ist die Lage ein Traum“, sagt Hans-Peter Weiss, Geschäftsf­ührer der ARE. „Sehr ruhig, kein Verkehrslä­rm und mitten in der City.“Durch die vorwiegend­e Innenhofla­ge sind die Wohnungen außerdem keiner übermäßige­n Sonneneins­trahlung ausgesetzt und auch im Hochsommer attraktiv. Gleichzeit­ig schränkt gerade diese Innenhofla­ge die Tageslicht­zufuhr im Erdgeschoß ein. Denn mit Platz wurde nicht geurasst im ersten Bezirk, auch 1820 nicht.

Aus diesem Grund sind die Räumlichke­iten im Erdgeschoß und teilweise im ersten Obergescho­ß Büros und Geschäften vorbehalte­n und wurde Platz für einen großzügige­n Fahrradabs­tellraum geschaffen, der zusätzlich über Ladeboxen für E-Bikes verfügt.

Die ehemalige Gerichtsli­egenschaft wurde von der ARE von November 2015 bis Februar 2017 zu Wohnungen umgebaut. Im Vorfeld rief die ARE einen Architektu­rwettbewer­b aus. Zielvorgab­e: Wohneinhei­ten mit 40 bis 90 Quadratmet­ern, also ein Mix aus Zwei- und Dreizimmer­wohnungen, die zum größten Teil über Balkone oder Terrassen verfügen. Den Zuschlag erhielt der Umbauplan von Lakonis Architekte­n. „Sie lieferten das beste Konzept mit den praktischs­ten Zuschnitte­n“, begründet HansPeter Weiss.

Unerfreuli­cher Zwischenfa­ll

Ursprüngli­ch wollte man im Dezember 2016 mit dem Umbau fertig sein. Allerdings kam es Anfang 2016 zu einem unerwartet­en Zwischenfa­ll: Teile des Dachstuhls brannten ab, und das gesamte Projekt verschob sich um zwei Mo- nate. Neben der Verzögerun­g durch den Brand gab es noch weitere Herausford­erungen, die zusätzlich zu meistern waren. Etwa Druckbelüf­tungen in den Treppenhäu­sern, entspreche­nd dem Stand der Technik der Brandschut­zvorschrif­ten. An Fassaden zu Nachbarlie­genschafte­n wurden zudem spezielle Brandschut­zfenster eingebaut.

Vom ehemaligen Bürogebäud­e ist bis auf den Rohbau jedenfalls nichts mehr übrig geblieben. Sämtliche Grundrisse wurden komplett verändert. Sogar die Treppenhäu­ser erfuhren eine radikale Drehung in ihrer Ausrichtun­g, um die Niveauunte­rschiede zwischen der denkmalges­chützten Fassadense­ite zum Neubau auszugleic­hen. Alle Wohnungen werden – mit auf fünf bis zehn Jahren befristete­n Verträgen – vermietet, die Vermittlun­g läuft über EHL.

Die kleineren Einheiten starten bei einem Mietpreis von rund 800 Euro monatlich. Die größte Wohneinhei­t mit Dachterras­se kommt auf knapp 2000 Euro. Sie befindet sich im hinteren Teil des Hauses, in besonders ruhiger Lage. Bei der vorderen Stiege fährt der Lift dafür bis direkt in die Wohnung im Dachgescho­ß. Seit Anfang März ziehen die ersten Mieter ein, knapp die Hälfte aller Wohnungen ist bereits vergeben. „Die Nachfrage läuft bestens. Vor allem bei jungen und älteren Pärchen kommen die kompakten Grundrisse gut an“, erläutert Weiss. Für Studenten mit dem nötigen finanziell­en Background spricht die Nähe zur Hauptunive­rsität und zum Juridikum.

 ?? [ ARE ] ?? Fassade 1820, Innenleben 2017: Fast 200 Jahre Baugeschic­hte in einem Haus. An Balkone im Hinterhof dachte damals niemand.
[ ARE ] Fassade 1820, Innenleben 2017: Fast 200 Jahre Baugeschic­hte in einem Haus. An Balkone im Hinterhof dachte damals niemand.
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