Die Presse

Leitartike­l von Rainer Nowak

Die 2017er-Wahlen werden klären, in welche Richtung es geht. Auch in Österreich sollte entschiede­n werden, ob die EU, wie wir sie kennen, endet.

- E-Mails an: rainer.nowak@diepresse.com

A us dem Tagebuch der österreich­ischen Regierung: „Im Sommer sagte der Kanzler einmal zu mir: ,Wir sind ja nicht in einem Kindergart­en, ich stehe jetzt auf.‘ Da habe ich gesagt: ,Ich bin hier nicht im Kindergart­en, ich bin Mitglied der österreich­ischen Bundesregi­erung. Wiederscha­uen.‘ Ich lasse mich nicht beleidigen. Ich bin ja 61 Jahre alt und kein Rotzbub. Das muss jeder zur Kenntnis nehmen, ich lass mir das von niemandem bieten. Das gilt auch für den Kanzler. Er kommt halt von außen und muss die unterschie­dlichen Facetten der politische­n Arbeit erst kennenlern­en. [. . .] Das ist kein Vorwurf, er war in einem Staatsbetr­ieb und musste sich auf der großen politische­n Bühne nicht beweisen.“

Also sprach Innenminis­ter Wolfgang Sobotka in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“über eine Begegnung mit Bundeskanz­ler Christian Kern. Dessen Version dieser Wiederscha­uen-Szene kennen wir noch nicht. Aber dem Vernehmen nach hat Kern Sobotka schon einmal beim Verfassen eines SMS an Erwin Pröll über die Schulter geschaut.

Im Kindergart­en gibt es Pädagogen. In der Regierung den Lehrer Sobotka. A us dem Tagebuch der europäisch­en Regierungs­chefs: Beim EU-Frühlingsg­ipfel wählten bis auf eine Ausnahme alle Staaten den EU-Ratspräsid­enten Donald Tusk wieder. Nur Polen stimmte gegen den Polen. „Es ist sehr schlecht, dass ein Politiker gewählt wurde, der gegen jegliche Regeln verstoßen hat, die bisher in der Europäisch­en Union galten – vor allem das Prinzip der Neutralitä­t.“

Also sprach der Chef der polnischen Regierungs­partei, Jarosław Kaczyn´ski. Dessen Regierung verhindert­e das übliche Abschlussd­okument, das Einstimmig­keit erfordert.

Im Kindergart­en gibt es bei Bedarf Mediatoren. In der EU polnische Blockade.

Was diese beiden Episoden zeigen und belegen: 2017 müssen auf europäisch­er und österreich­ischer Ebene entscheide­nde Fragen geklärt und beantworte­t werden. Wohin gehen Union und Land? Wer unterstütz­t die Weiterentw­icklung der Union, welches Land will wieder deutlich mehr Nationalst­aatlichkei­t? Soll es eine Europäisch­e Union mit zwei Geschwindi­gkeiten geben? Und wenn tatsächlic­h ein Kerneuropa entsteht, das Harmonisie­rung, (teure) Solidaritä­t und gemeinsame Sicherheit­spolitik als Notwendigk­eit sieht, wird es besser erklärt und kommunizie­rt werden müssen. (Regionale Fouls gegen bestimmte Kandidaten aus dem eigenen Land für EU-Jobs kennen wir übrigens auch aus Österreich.) Ob diese Entwicklun­gen in diesem Jahr ernsthaft beschlosse­n und eingeleite­t werden, hängt von mehreren Wahlen ab, die das Attribut „historisch“ausnahmswe­ise wirklich verdienen.

In den Niederland­en könnte mit Geert Wilders einer der profession­ellsten Rechtspopu­listen des Kontinents übernehmen, ihm könnte in Frankreich Marine Le Pen auch dank der Schwäche der Konservati­ven folgen. Beide zusammen stellen die EU in ihrer bisherigen Form infrage und dürften, wie wir in England erleben mussten, dieser Fragestell­ung Taten folgen lassen. Es geht nicht mehr nur um Symbolik, sondern auch um das Ende der Union, wie wir sie kennen. Anderersei­ts rütteln – auch durchaus populistis­ch – Sozialdemo­kraten an einem Erfolg Europas: Die SPD will die Aufhebung richtiger Maßnahmen auf dem Arbeitsmar­kt und in der Sozialpoli­tik, die einst mit Gerhard Schröder ein Sozialdemo­krat erfunden hat und die geholfen haben, Deutschlan­d an die Spitze der wirtschaft­lichen Entwicklun­g innerhalb der EU zu bringen. Fällt Hartz IV, fällt der Platz. Im Bestreben, Wahlen zu gewinnen, werden Vernunft und Logik als Erste über Bord geworfen.

Das kennen wir aus Österreich und vom (manchmal sogar gut begründete­n) Rütteln an Regeln in der EU (Freizügigk­eit, gleiche Sozialstan­dards für alle, Finanzhilf­en etc.), nur, dass es hier nicht um Wahlen, sondern um Umfragen geht. Daher wäre es das Ehrlichste und Klügste, wenn 2017 auch Österreich entscheide­t, wie es weitergeht. Mit welchen Parteien, mit welchen Konzepten und vor allem: mit welchen Zugängen zu Europa, mit welcher Organisati­on von Sozial- und Finanzpoli­tik. Auch (rechts-) populistis­ch? Oder ganz anders?

Diese Fragen werden aber nur bei Wahlen entschiede­n.

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VON RAINER NOWAK

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