Die Presse

Im Zweifel gegen „System“, EU und Euro

Frankreich. Drei Viertel halten einen Austritt aus dem Euro für eine Katastroph­e. Dennoch haben bei der Präsidente­nwahl EUSkeptike­r wie die Rechtspopu­listin Marine Le Pen enormen Zulauf.

- Von unserem Korrespond­enten RUDOLF BALMER

Paris. Staatspräs­ident Francois¸ Hollande macht sich Sorgen über den Präsidents­chaftswahl­kampf. Er schließt einen Sieg der Rechtspopu­listin Marine Le Pen nicht mehr aus. Auch hat er sich über das bedenklich tiefe Niveau der gegenwärti­gen Wahldebatt­e in Frankreich beklagt. Statt über Programme und Erneuerung­spläne werde über Affären oder simple Gerüchte diskutiert.

Daran ist Hollande freilich selbst nicht unschuldig. Denn da er sich nicht der Wiederwahl stellt – eine Premiere in der Fünften Republik – ist auch seine Bilanz nicht die Grundlage einer seriösen Auseinande­rsetzung. Dennoch stellt die Wahl des Staatschef­s die wichtigste politische Weichenste­l- lung dar. Er bestimmt die Regierungs­politik und ist zugleich oberster Chef der Streitkräf­te. Die Verfassung ermöglicht es ihm, die Nationalve­rsammlung (deren Abgeordnet­e im Juni gewählt werden) aufzulösen oder in Krisenzeit­en mit Vollmachte­n zu regieren.

Das allein wäre also schon Grund genug für die 47 Millionen Wahlberech­tigten, lieber zwei- oder dreimal zu überdenken, wen sie nach den zwei Wahlrunden am 23. April und 7. Mai für fünf Jahre mit einer derartigen Machtfülle ausstatten wollen. Anscheinen­d überlegen sie sich das 2017 tatsächlic­h besonders lang, denn die Hälfte der Befragten erklären den Meinungsfo­rschern, sie wüssten (noch) nicht, wem sie ihre Stimme geben. Es wird erwartet, dass die Zahl der Nichtwähle­r einen neuen Rekordstan­d erreicht.

Für die andere Hälfte der Wähler ist alles längst entschiede­n. Und dies oft weniger, weil sie mit einem Wahlprogra­mm völlig einverstan­den sind, sondern weil viele von ihnen an der Wahlurne ihr Misstrauen oder ihren Ärger über die bisher abwechseln­d regierende­n traditione­llen Parteien loswerden wollen. Selbst die Kandidaten der großen Parteien verkaufen sich deshalb als Kritiker des „Systems“. Das gilt für den Konservati­ven Francois¸ Fillon wie für Hollandes Ex-Be-

rater und Wirtschaft­sminister Emmanuel Macron oder den Sozialiste­n Benoˆıt Hamon. Jeder beanspruch­t für sich, als „Alternativ­e“mindestens ebenso außerhalb des politische­n Establishm­ents zu stehen wie Le Pen oder der Linkspopul­ist Jean-Luc Melenchon.´

Europa als Sündenbock

Zu den wohlfeilen Sündenböck­en, die sich in der Wahlpropag­anda anbieten, gehören die EU und der Euro. Obwohl laut einer kürzlichen Befragung drei Viertel der Franzosen meinen, ein Austritt aus der Gemeinscha­ftswährung hätte katastroph­ale Folgen für ihre Volkswirts­chaft, haben die EU-Kritiker und Euro-Gegner einen massiven Zulauf. Zusammenge­zählt könnten dieses Mal die Stimmen für diese der EU ablehnend oder zumindest sehr kritisch gegenübers­tehenden Kandidaten mehr als die Hälfte ausmachen. Obwohl eine klare Mehrheit keinen Austritt aus der EU wünscht, geht in Frankreich das Gespenst namens Frexit um. Nicht nur Marine Le Pen will eine Volksabsti­mmung nach dem britischen Vorbild des Brexit. Auch im Ausland kaum bekannte Kandidaten wie die beiden Souveränis­ten Nicolas Dupont-Aignan („La France debout“) und Francois¸ Asselineau („Union populaire republicai­ne“)´ sowie auch andere Kandidaten der radikalen Linken verteufeln die EU. Diese Außenseite­r sorgen nicht nur für ein bisschen Farbe. Sie machen deutlich, dass diese Wahlen längst nicht auf das Spitzentri­o Le Pen/Macron/Fillon reduziert werden können, die in den Umfragen führen – Macron und Le Pen mit jeweils 26 Prozent, Fillon mit 20 Prozent dahinter.

Wer bei der französisc­hen Präsidente­nwahl kandidiere­n will, muss mindestens 18 Jahre alt, stimm- und wahlberech­tigt sein. Wie die Polemik um die laufenden Ermittlung­en gegen Le Pen vom Front National und gegen den Konservati­ven Fillon belegen, braucht es nicht unbedingt eine lupenreine Weste. Doch muss jede Kandidatur von mindestens 500 Unterschri­ften von gewählten Volksvertr­etern (Bürgermeis­ter, Parlamenta­rier, Mitglieder der regionalen Versammlun­gen) aus 30 verschiede­nen Departemen­ts´ vor dem 17. März beglaubigt werden. Dass Kandidaten wie Dupont-Aignan, Asselineau oder die Trotzkisti­n Nathalie Arthaud („Lutte Ouvri`ere“) die Hürde offenbar bereits problemlos geschafft haben, kann erstaunen. Viele Bürgermeis­ter, die ihnen ihre „Patenschaf­t“gewährt haben, geben an, sie seien nicht gleicher Meinung – doch sie wollten, dass diese politische­n Querschläg­er zu Wort kommen.

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