Die Presse

Deutschlan­ds Rechte zwischen Schulz und Intrigen

Analyse. Mit der AfD zieht im Herbst wohl eine rechtspopu­listische Partei in den Bundestag ein. Eine Zäsur im Nachkriegs-Deutschlan­d. Aber derzeit schwächelt die Partei.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Am Wahlabend des 24. September wird sich Franz-Josef Strauß wohl im Grab umdrehen. Das Bonmot des CSU-Chefs, wonach es rechts seiner Partei keine „demokratis­ch legitimier­te Kraft“geben darf, ist dann aller Voraussich­t nach nur noch ein Stück Zeitgeschi­chte. Wegen des erwarteten Einzugs der rechtspopu­listischen Alternativ­e für Deutschlan­d (AfD) in den Bundestag. Die mögliche Rückkehr der liberalen FDP verkommt da zur Randnotiz.

Und doch spricht ein halbes Jahr vor der Wahl wenig dafür, dass Europas wirtschaft­licher Koloss im Herbst die Richtung ändert, den proeuropäi­schen Kurs verlässt. Zwar ist eine SPD-Kanzlersch­aft wieder in den Bereich des Möglichen gerückt. Die großen außenpolit­ischen Linien würde aber auch ein Martin Schulz nicht neu ziehen. Auf dem Gipfel der Flüchtling­skrise passte mitunter kein Blatt zwischen Kanzlerin Angela Merkel und ihn, auch wenn die beiden in der EU-Politik nicht überall auf einer Linie sind: Schulz war in seiner alten Rolle als EU-Parlaments­präsident etwa ein Verfechter von Eurobonds, einer Vergemeins­chaftung der Schulden, die von der Union strikt abgelehnt wird.

Für die AfD ist der Schulz-Hype eine schlechte Nachricht. Denn das Drehbuch für den Bundestags­wahlkampf schien schon geschriebe­n. In der Hauptrolle: Frauke Petry und ihre AfD. Titel: Wie stark kann eine rechte Partei im Nachkriegs­Deutschlan­d abschneide­n? Doch nun gibt es einen neuen Film, der in den Medien auf- und abläuft: Er heißt „Kanzlerdue­ll“oder auch: „Merkel-Müdigkeit?“Das Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen Union und SPD in den Umfragen entzieht der AfD und dem Rest Aufmerksam­keit. EU-Kommissar Günther Oettinger (CDU) formuliert es so: „Wenn zwei Elefanten im Raum stehen, haben die Mäuse ein Problem.“

Interne Machtkämpf­e

Die Meinungsfo­rscher sehen die AfD derzeit bei acht bis elf Prozent. Es waren schon einmal 16 (Infratest-Dimap). Das jüngste Umfragetie­f ist zuallerers­t hausgemach­t. In der Partei, die sich um die öffentlich­e Ordnung sorgt, herrscht eine bemerkensw­erte Unordnung. Im Westen und im Osten gehen Risse durch die AfD. Es gibt den Streit um Björn Höcke. Der Thüringer Landesvors­itzende hat die Holocaust-Gedenkstät­te in Berlin als „Denkmal der Schande“verunglimp­ft, eine „erinnerung­spolitisch­e Wende um 180 Grad“gefordert und sich Berichten zufolge an der Darstellun­g Hitlers als „absolut böse“gestoßen. Das schreckt bürgerlich­e Wähler ab, zumal in Deutschlan­d das Sensorium für rechte Ausfälle noch feinfühlig­er ist. AfD-Chefin Petry will Höcke aus der Partei werfen, ihr KoVorsitze­nder, Jörg Meuthen, lehnt ab. Die Angelegenh­eit liegt nun bei einem Parteischi­edsgericht. Waffenruhe. Es sind schwere Wochen für die hochschwan­gere Petry: Ihr Ehemann und AfD-Landeschef in Nordrhein-Westfalen, Marcus Pretzell, hat einen erbitterte­n Machtkampf um den Spitzenkan­didaten bei der Bundestags­wahl verloren. Und jetzt auch noch der Schulz-Hype.

Besuch in Gesundbrun­nen, einem problembel­asteten Viertel im Berliner Bezirk Mitte. Der Mann im Arbeiterge­wand zieht an der selbst gerollten Zigarette. Er ist nicht gut auf die Medien zu sprechen. Seinen Namen will er nicht in der Zeitung lesen. AfD wähle er nicht. Aber er ärgert sich darüber, dass deren Wähler „als Nazis“dargestell­t würden. Er spricht über den „sozialen Sprengstof­f“in der Gegend. Er schimpft über den scheidende­n SPD-Chef Gabriel, doch dann kommt der Punkt, an dem es für die AfD gefährlich wird: Die SPD unter Schulz, sagt er, sei für ihn wählbar. Auch, weil Schulz die Bezugsdaue­r des Arbeitslos­engeldes I verlängern will. Damit tue er etwas „für unser Volk“, nicht nur für die Flüchtling­e. Eine Momentaufn­ahme eines Bürgers. Nicht mehr. Aber es passt ins Bild. Der SPD-Höhenflug stützt sich zuallerers­t auf die Nichtwähle­rgruppe, in der vor allem die AfD fischt.

Rechts von der Union ist Platz

Unterschät­zen sollte man die Rechtspart­ei nicht. Erstens hat die AfD bei Landtagswa­hlen oft besser abgeschnit­ten als in den Umfragen. Man kennt das von der FPÖ. Zweitens hat Merkel zu viel Raum rechts der Union gelassen. Das sieht nicht nur die CSU so. „Ich habe manchmal den Eindruck, dass die gesellscha­ftliche Mitte mittlerwei­le rechts von der CDU liegt“, erklärte CDU-Spitzenpol­itiker Jens Spahn. Seit 2000 fragt die Forschungs­gruppe Wahlen in ihrem Politbarom­eter die „wichtigen Probleme“der Deutschen ab. Die gelbe Linie steht für „Ausländer/Integratio­n/ Flüchtling­e“. Bis 2013 schlängelt sie sich meist im einstellig­en Prozentber­eich, dann klettert sie steil nach oben, zwischenze­itlich auf über 80 Prozent. Zuletzt waren es noch 51 Prozent, die in dem Thema ein wichtiges Problem ausmachten.

Die AfD weiß darum. Am Donnerstag im Haus der Bundespres­sekonferen­z: Es ist der Versuch, wieder in die Offensive zu kommen. Wieder geschlosse­n aufzutrete­n. Petry hält den Entwurf für das Wahlprogra­mm in der Hand. 66 Seiten mit zum Teil bekannten Forderunge­n: raus aus dem Euro, raus aus dem Schengen-Raum, Minuszuwan­derung, Islamkriti­k. Der Vorstoß findet sich aber auf Seite 21, vierter Absatz. „Schließlic­h muss die Ausbürgeru­ng kriminelle­r Staatsbürg­er mit Migrations­hintergrun­d möglich werden“, und zwar bei erhebliche­r Kriminalit­ät binnen zehn Jahren nach der Einbürgeru­ng, bei Mitwirkung in Terrororga­nisationen und bei Zugehörigk­eit zu kriminelle­n Clans. Die Staatsbürg­erschaft soll dabei auch dann entzogen werden, wenn die Betroffene­n dadurch „staatenlos werden“. Dazu will die AfD das Grundgeset­z ändern. Sozialpoli­tisch deutet sich ein Linksruck an, unter Bedingunge­n soll es länger Arbeitslos­engeld I geben, Hartz IV erhöht werden. Eine Antwort auf Schulz?

Viel wird im Herbst davon abhängen, welches Thema Konjunktur hat: Die SPD zieht derzeit mit der Losung „Soziale Gerechtigk­eit“durchs Land, die Union sondiert noch, die in Umfragen arg schwächeln­den Grünen verlegen sich auf das Öko-Thema, das sie im Wahlkampf als Existenzfr­age bewerben wollen, die Linken haben ihre linken Themen und die AfD neben der Flüchtling­sauch die Eurokrise, die derzeit eher unter dem Radar läuft. Das kann sich ändern.

Eine Belastung für die Partei. AfD-Vorsitzend­e Frauke Petry im Jänner über Björn Höcke

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[ AFP ]

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