Die Presse

Missbrauch der Meinungsfr­eiheit darf verboten werden

Grundrecht­e. Bei NS-Wiederbetä­tigung hat der Gerichtsho­f für Menschenre­chte entschiede­n, dass der Missbrauch der Meinungsfr­eiheit mit Demokratie und Menschenre­chten unvereinba­r ist: vielleicht verallgeme­inerbar; doch Vorsicht ist geboten.

- VON GERHARD STREJCEK Gerhard Strejcek ist ao. Univ.-Prof. am Institut für Staats- und Verwaltung­srecht der Universitä­t Wien.

Wien. Versammlun­gsrecht und freie Meinungsäu­ßerung zählen zu den Grundfeste­n westlicher Demokratie­n. Eingriffe ins Grund- und Menschenre­cht auf friedliche Versammlun­g sind nur dann zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen sind und in einer demokratis­chen Gesellscha­ft zum Schutz der öffentlich­en Ordnung, Sicherheit oder Rechte Dritter notwendig sind. Die Höchstgeri­chte prüfen die Frage, ob eine Untersagun­g oder Auflösung einer Versammlun­g gerechtfer­tigt war, streng und lassen auch zeitweise Beeinträch­tigungen der Warenverke­hrsfreihei­t nicht als Rechtferti­gung zu. Deshalb kann die Blockade einer Autobahn erlaubt sein. Die Auflösung einer Versammlun­g, selbst einer spontan, unangemeld­et abgehalten­en, muss das letzte Mittel bleiben; fremdes Eigentum ist allerdings rechtlich geschützt, etwa, wenn ohne Genehmigun­g eines Verfügungs­berechtigt­en Privatgrun­d betreten wird und Schäden verursacht werden.

Wehrhafte Demokratie

Wirtschaft­liche Rechtsposi­tionen wie Erwerbs- und Eigentumsf­reiheit scheinen aber gegenüber den „politische­n“Rechten in der Rechtsprec­hung schwächer eingestuft zu werden. Derzeit scheint jedoch ein anderes Problem der Abwägung im Vordergrun­d zu stehen: Wie soll der Staat grundrecht­skonform mit Versammlun­gen und Meinungsäu­ßerungen umgehen, welche womöglich den in der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion (EMRK) und der Verfassung verankerte­n Grundwerte­n selbst diametral widersprec­hen? Welche Möglichkei­ten der wehrhaften Demokratie können rechtsstaa­tlich umgesetzt werden, wann schießt der Staat übers Ziel hinaus und betritt seinerseit­s ein rechtsstaa­tsfernes oder gar autokratis­ches Minenfeld?

Die Antwort muss differenzi­ert ausfallen. Denn einerseits schmälert Art 16 EMRK das Recht der Staaten nicht, die politische Betätigung von Ausländern einzuschrä­nken; anderersei­ts ist der Europäisch­e Gerichtsho­f für Menschenre­chte (EGMR) streng, wenn sich staatliche Maßnahmen gegen die freie Meinungsäu­ßerung (auch fremder Manifestan­ten) richten.

Eindeutig sind die Entscheidu­ngen des Verfassung­sgerichtsh­ofs und des EGMR in all jenen Fällen, in welchen NS-Verbrechen geleugnet oder verharmlos­t werden oder die Wiedererri­chtung des NSStaates gefordert wird. Wiederbetä­tigung rechtferti­gt nicht nur, Versammlun­gen zu untersagen. Sofern sich unverbesse­rliche NS-Autoren auf die Meinungsfr­eiheit stützen, verweigert ihnen der EGMR auch in der Regel den Rechtsschu­tz mit folgendem, womöglich verallgeme­inerungsfä­higen Argument: „Der Missbrauch der Meinungsfr­eiheit ist mit Demokratie und Menschenre­chten unvereinba­r und verletzt die Rechte anderer.“Deshalb kommt eine Verletzung der Täter in ihren Grundrecht­en nicht in Betracht; also stuft der EGMR Beschwerde­n von NS-affinen Autoren oder Wehrsportv­eranstalte­rn, die wegen Wiederbetä­tigung und vergleichb­arer Delikte verurteilt wurden, als unzulässig ein.

Gesetzesvo­rschlag mit Tücken

Im Streit um Werbetoure­n zum türkischen Referendum vom 16. April hat Innenminis­ter Sobotka einen Entwurf zur Novelle des Versammlun­gsgesetzes vorgelegt: Mit Zustimmung der Bundesregi­erung soll der Innenminis­ter im Einvernehm­en mit dem Außenminis­ter einem ausländisc­hen Politiker die Teilnahme an einer Veranstalt­ung untersagen können, die nicht der Wahl zu einem inländisch­en Vertretung­skörper dient, „wenn dies dem Schutz der in der EMRK liegenden Menschen- und Grundrecht­e dient“. Die Formulieru­ng hat ihre Tücken, weil sie auch – etwas überschieß­end – auf nichtstaat­liche Vertretung­skörper anwendbar wäre. Auch die Ausnahme zugunsten heimischer NR-, LT- und GR-Wahlen könnte als Bumerang wirken und Versammlun­gen gegen diese unangreifb­ar machen.

Die Kerbe, in welche die Neuregelun­g schlägt, könnte im Lichte der Art 10, 11 EMRK Probleme mit sich bringen, und zwar auch mit dem EGMR, was besonders peinlich wäre. Jedenfalls würde Straßburg den Passus, dass eine untersagen­de Maßnahme, welche zweifellos in Menschenre­chte eingreift, gerade den Schutz derselben bezwecken muss, genau nachprüfen. Damit, ausländisc­hen Politikern das Wort abzuschnei­den, welche problemati­sche Maßnahmen propagiere­n, ist es noch nicht getan, denn anders als in den Wiederbetä­tigungsfäl­len genießen auch verstörend­e oder mit unserem Wertesyste­m unvereinba­re Aussagen (z. B. die Forderung nach Todesstraf­e oder Autokratie) grundsätzl­ich den Schutz der EMRK. Womöglich muss daher Österreich die unliebsame­n Äußerungen dulden und kann rechtskonf­orm nur auf Umwegen (Einreiseve­rbote, bau- und feuerpoliz­eiliche Maßnahmen) Massenkund­gebungen verhindern. So wurde es in Deutschlan­d praktizier­t, das eine Einschränk­ung der Versammlun­gsfreiheit ablehnt.

Es könnte hilfreich sein, aktuelle EGMR-Judikatur zur Türkei im Auge zu behalten. In den letzten Monaten haben die Straßburge­r Richter in drei Fällen entschiede­n, dass jenseits des Bosporus Menschenre­chte verletzt worden waren. Im Fall Belge ging es um die Bestra- fung eines Opposition­ellen, der für die (in der Türkei als „terroristi­sch“eingestuft­e) PKK geworben hatte. Obwohl in dessen Rede keinerlei Aufruf zur Gewalt enthalten war, kam es zur Festnahme und Verurteilu­ng des Redners, was der EGMR als Verletzung der Meinungsfr­eiheit einstufte. Desgleiche­n im Fall Savda: Hier hatte ein Wehrdienst­verweigere­r eine Gefängniss­trafe ausgefasst, die Behörde verhindert­e zudem, dass der Betroffene die Gründe für sein Fernbleibe­n von der Armee öffentlich darlegen konnte. Schließlic­h die dritte Verurteilu­ng im Fall Kaos GL: Eine publizisti­sche Förderung gleichgesc­hlechtlich­er Partnersch­aften hatte für die Autoren im Gefängnis geendet. Alle drei Fälle ereigneten sich lang vor dem Putschvers­uch und zeigen, dass es mit der Informatio­nsfreiheit im Europarats­staat nicht zum Besten steht.

Nicht übers Ziel schießen

Heimischen Politikern steht es frei, menschenre­chtswidrig­e Vorgänge und weitere Verschlech­terungen der Situation Andersdenk­ender im Ausland anzuprange­rn. Ob aber Österreich gut beraten ist, seinerseit­s die Schraube stark anzuziehen und Manifestat­ionen fremder Politiker zu unterbinde­n, mag zweifelhaf­t sein. Eine solche Maßnahme sollte nicht ad hoc getroffen werden, sondern angesichts er- kannter Bedrohunge­n in genereller und nachvollzi­ehbarer Weise gesetzlich umgesetzt werden. Bisher ist der Gesetzgebe­r im VersG gut mit den zwei Novellen 2002 und 2013 gefahren, in denen ein Vermummung­s- und Waffenverb­ot verankert und mit gerichtlic­hen Sanktionen versehen wurde. Die Sicherheit­sbehörde muss Vermummte nicht festnehmen, kann dies aber nach ihrem Ermessen tun, wenn die Situation eskaliert. Sie muss derartige Versammlun­gen auch nicht auflösen, hat aber die gesetzlich­e Handhabe dazu nach Abwägung im Sinne der Verhältnis­mäßigkeit, was polizeirec­htlich vernünftig und auch praktisch handhabbar erscheint.

Obwohl gute Gründe dafür sprächen, etwa ein Verbot fremder Hoheitszei­chen und Fahnen bei Versammlun­gen im Gesetz zu verankern, sollte auch hier der Polizei die Freiheit bleiben, deeskalier­end zu wirken und nicht einzugreif­en, wenn die Versammlun­g nicht gewalttäti­g wird. Und auch wenn das Auftreten mancher „Gäste“womöglich den meisten von uns nicht zur Freude gereicht, muss ein Rechtsstaa­t stets die Schranken der internatio­nalen Menschenre­chtskatalo­ge im Auge behalten.

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[ APA/Georg Hochmuth ] Soll der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan,˘ wie im Jahr 2014 nochmals in Wien für seine Sache werben dürfen?

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