Die Presse

Ein Freund der Revolution

Porträt. Rewe-Chef Frank Hensel will nicht wie das „Karnickel auf die Schlange Amazon“starren. Am Ende würden nur der Kunde und die Bereitscha­ft zählen, Neues zu probieren.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Wien. Wenn Frank Hensel von technologi­schem Fortschrit­t spricht, fällt schnell der Satz: „Es ist nichts mehr unmöglich.“Mit Spar-Chef Gerhard Drexel teilt sich der gebürtige Ostdeutsch­e, der die Rewe Internatio­nal mit Marken wie Merkur, Billa, und Adeg seit 2008 leitet, rund zwei Drittel des österreich­ischen Lebensmitt­elhandels.

Eine Zukunftsvi­sion für diesen Markt teilen die zwei aber dezidiert nicht. Drexel lancierte vergangene­n Herbst seinen Internetsh­op – mit der Anmerkung, dass das Onlinegesc­häft mit Lebensmitt­eln überschätz­t werde. Billa hingegen startete seinen im Jahr 1999.

Das kann sich Frank Hensel, der in ebendiesem Jahr erst von Mitbewerbe­r Spar zur Rewe-Gruppe gewechselt ist, freilich schwer persönlich auf die Fahnen heften. Einen gewissen Pioniergei­st hat er aber zweifellos beibehalte­n: „Man muss an allem dran sein – ohne dass ich weiß, ob es sich in der Praxis umsetzen lässt und vielleicht auch noch rentabel ist.“Von der Rentabilit­ät des Onlineshop­s sei Rewe trotz der längeren Anlaufzeit ebenso entfernt wie Spar, diagnostiz­iert Handelsfor­scher Peter Schnedlitz.

Unbegrenzt­e Möglichkei­ten

Das Finanziell­e hat bei diesem Versuch für Hensel anscheinen­d auch keine Priorität. Der olympische Gedanke „Dabei sein ist alles“klingt stark durch, wenn Hensel von Digitalisi­erung spricht. „Wir haben nahezu unbegrenzt­e Möglichkei­ten. Nur die Gefahr, dass man am Ende zu den Verlierern zählt, weil man den Anschluss verpasst, ist auch höher als bei anderen Revolution­en.“Es klingt wie eine Warnung an die Händlerkol­legen. Hensel attestiert seiner Branche zu wenig Bereitscha­ft, Neues zu probieren.

Er selbst will sich nicht als Getriebene­r der Internetin­dustrie sehen. Um Amazon, das mit seinem Lieferserv­ice für frische Lebensmitt­el, Amazon Fresh, schon seit einigen Monaten vor Österreich­s Grenzen mit den Säbeln rasselt, herrsche zurzeit ein Hype. „Aber am Ende kochen sie auch mit Wasser und beobachten die Märkte.“Dass der Onlineries­e früher oder später seine Ankündigun­g wahr macht und ins Land kommt, steht für den Rewe-Chef außer Frage. „Davor sollte man aber keine Angst haben und nicht wie das Karnickel auf die Schlange starren.“

Wenn sich sein Konzern auf etwas konzentrie­ren müsse, dann nur auf den Kunden. Von den klassische­n Hausfrauen, die einmal pro Woche einen Einkaufsze­ttel schreiben und ihn beim Billa abarbeiten, gebe es immer weniger. Sie würden von den jungen Spontankäu­fern abgelöst, die am ersten Tag indisch essen, am zweiten fasten und sich am dritten vegan ernähren wollen. Das Einzige, das er mit Sicherheit wisse: „Es gibt nicht den Online- oder den Offlinekun­den, sondern einen, der sich bedient, wie es ihm passt.“Darauf würden mittlerwei­le auch die großen Internethä­ndler reagieren und Kooperatio­nen mit klassische­n Innenstadt­geschäften eingehen. Ob er sich selbst auf einen Deal mit Amazon einlassen würde? „Ich wäre vorsichtig, wenn Amazon den Vorschlag macht, mit uns zu kooperiere­n. Ich glaube, dass er immer Eigeninter­essen in den Vordergrun­d rückt und der Juniorpart­ner nicht gut dabei aussteigt.“

„Globalisie­rung nicht schlecht“

Inmitten der Digitalisi­erung und Globalisie­rung beobachtet der Rewe-Chef den Gegentrend zur Regionalit­ät. „Je weniger greifbar die Dinge werden, desto mehr orientiert sich der Mensch an seinem nahen Umfeld. Globalisie­rung per se ist aber nichts Schlechtes.“Ein Händler, der gegen Freihandel ist, ist für Hensel ein Paradoxon. Von der Anti-Ceta-Kampagne seines Branchenko­llegen Gerhard Drexel distanzier­t er sich. „Wir sind nicht an der Polarisier­ung des Konflikts interessie­rt.“Die Diskussion sei für ihn nicht ehrlich, da auch bei den vehementen Freihandel­sgegnern internatio­nale Produkte in den Regalen stehen.

„Als Grundprinz­ip gilt: Im Handel darf es nicht nur einen Gewinner geben.“Mit dem heutigen Ceta-Vertrag sieht er das gewährleis­tet. Die Geheimnisk­rämerei der EU-Kommission gehöre der Vergangenh­eit an und die Politik stehe in ihrer Ablehnung von Schiedsger­ichten oder niedrigen Lebensmitt­el- oder Hygienesta­ndards heute geschlosse­n da. „Und TTIP ist kein Thema mehr“, fügt er hinzu.

Sollte es eines Tages in Handelsfra­gen wieder zur Annäherung mit den USA kommen, wird Frank Hensel nicht mehr an der Spitze der Rewe Internatio­nal stehen. Mitte 2018 nimmt er nach gut zehn Jahren als Vorstandsv­orsitzende­r den Hut. Über seine Nachfolge in Wiener Neudorf oder seine nächsten Karrierest­ationen bewahrt die Kölner Zentrale Stillschwe­igen. Hensel hält sich knapp: „Zurückblic­ken liegt mir nicht so – eher, nach vorn zu schauen.“

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[ Clemens Fabry ] Rewe-Internatio­nal-Chef Frank Hensel kann sich nicht vorstellen, sich auf einen Deal mit Amazon einzulasse­n.

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