Sicherer Hafen mit Vorbehalt
Anleihen von Industrienationen. Nach wie vor gibt es gute Gründe, Staatsanleihen der Industrieländer mit Topbonität zu kaufen. Doch sind die Renditeaussichten überschaubar.
Wien. „Man kann es drehen und wenden, wie man will, die Ertragserwartungen sind bei Staatsanleihen hoher Qualität der Industrienationen derzeit äußerst gering“, bringt Andreas Riegler, Head of Fixed Income bei der Raiffeisen Kapitalgesellschaft, die aktuelle Realität für Anleiheinvestoren auf den Punkt. Tatsächlich schaut die Renditelandschaft in den entwickelten Märkten alles andere als vielversprechend aus: Japanische Staatsanleihen rentieren mit null Prozent, deutsche Bundesanleihen mit durchschnittlich minus 0,1 Prozent. In der Eurozone liegt der Durchschnitt unter einem Prozent. Nachsatz Riegler: „Das ist zu wenig, um auf längere Sicht die Inflation abzugelten.“
Nach dem guten Vorjahr ist die Ausgangslage für die Assetklasse sicherlich schlechter geworden. „Das Abwärtsrisiko ist angestiegen“, so Riegler. Obwohl das konjunkturelle Bild 2017 gut aussehe, müssten etwa – aufgrund der bevorstehenden Wahlen in Europa – Überwerfungen politischer Natur berücksichtigt werden. Extreme Ausgänge, wie etwa ein möglicher Sieg Marine Le Pens bei den französischen Präsidentschaftswahlen, würden Anleiheninvestoren nämlich überhaupt nicht schätzen. Bei der Raiffeisen KAG glaubt man zudem, dass die Märkte das Inflationsthema noch nicht eingepreist haben.
Auch die Zinslandschaft ist eine andere geworden. Bis vor Kurzem hat die Politik der Notenbanken den Staatsanleihenmarkt unisono unterstützt, Stichwort: Niedrigzinsniveau. Heuer halten Experten in den USA bis zu drei Zinsschritte für möglich. Wieso sollte das Zinsänderungsrisiko Anleger beschäftigen? Mit steigenden Zinsen sinkt der Kurswert von Staatsanleihen.
US-Anleihen rentieren höher
In den Portfolios der Merito Financial Solutions sind Staatsanleihen der Eurozone wegen der geringen Ertragserwartungen derzeit mit zehn Prozent gewichtet. „Das ist im Vergleich zur Vergangenheit gering“, so Wolfgang Habermayer, Sprecher der Geschäftsleitung der Merito Financial Solutions. Die Industrieländer außerhalb der Eurozone sind mit 25 Prozent gewichtet. Mit zehnjährigen Papieren der USA (2,5 Prozent), Australiens (2,9) oder Neuseelands (3,4) ist derzeit mehr zu lukrieren. Habermayer empfiehlt Anlegern, in diese Länder – wie auch in die Eurozone – mit passiven Instrumenten (ETFs) zu investieren. „Man darf nicht vergessen, dass es in der Historie kaum Manager gibt, die einen konservativen Index nachhaltig schlagen können.“
Was Schwellenländerstaatsanleihen betrifft, sei es dagegen sinnvoller, von Land zu Land zu differenzieren und auf Einzeltitel zu setzen. „Die asiatischen Schwellenländer gefallen uns aufgrund ihrer größeren wirtschaftlichen Dynamik sowie ihrer besseren volkswirtschaftlichen Diversifikation besser als die lateinamerikanischen.“Gut gefallen dem Experten aktuell auch – vor allem wegen ihrer starken Verzahnung mit der EU – die europäischen Schwellenländer, die etwa im Vorjahr ein stärkeres Wirtschaftswachstum als die USA verzeichnet hätten. Seit Jahresbeginn haben Lokalwährungsanleihen der Schwellenländer eine Performance von drei Prozent vorzuweisen, bei Hartwährungspapieren sind es 2,8 Prozent.
Trotz der niedrigen Renditeaussichten werden Staatsanleihen der Industrieländer mit bester Bonität nach wie vor gekauft. Dafür gibt es gute Gründe. „Die Liquidität ist viel höher als bei Unternehmensanleihen“, nennt Riegler einen wesentlichen Grund. Investoren können deshalb auch schneller kaufen und verkaufen. Noch ein Argument habe Gültigkeit: Bei Aktienmarktkrisen sind Papiere der entwickelten Länder aufgrund der geringen Korrelation das beste Instrument zur Risikoabsicherung. „Auch in kurzfristig schwachen Marktphasen werden sie als sicherer Hafen gesehen“, so Riegler. Nach Einschätzung des Experten der Raiffeisen Kapitalgesellschaft sind heuer wegen der Wahlen in der Eurozone längere Phasen der Unsicherheit durchaus möglich. „Am Ende des Tages sollten aber ökonomische Faktoren das Übergewicht gewinnen.“