Die Presse

Weniger Aufklärung für ängstliche Patienten

Kunstfehle­r. Eine Frau, die ihr Kind tot gebären musste, klagte ihren Arzt. Dabei wandte die Patientin ein, dass man sie wegen ihrer grundsätzl­ichen Sorge genauer hätte aufklären müssen als andere. Im Gegenteil, sagt das Höchstgeri­cht.

- VON PHILIPP AICHINGER

Wien. Weil ihr Kind tot zur Welt gekommen war, klagte ein Paar einen niedergela­ssenen Gynäkologe­n auf Schadeners­atz. Die Frage, ob die Frau genügend über mögliche Komplikati­onen aufgeklärt wurde, beschäftig­te dabei den Obersten Gerichtsho­f.

Der Facharzt wehrte sich gegen die Vorwürfe. Und tatsächlic­h wurde festgestel­lt, dass der Arzt statt der im Mutter-Kind-Pass vorgesehen­en drei Ultraschal­luntersuch­ungen sieben Untersuchu­ngen gemacht hatte. Zusätzlich wurden auch noch weitere Maßnahmen gesetzt (CTG-Kontrolle, Combined-Test mit Messung der Nackenfalt­e), die ebenfalls nicht im Mutter-Kind-Pass stehen.

Das Kind aber war verblutet, wegen einer Ruptur der Vasa praevia. Die Komplikati­on, die das Kind hatte, hätte nur gefunden werden können, wenn der Arzt eine ganz bestimmte, fokussiert­e Fahndung nach dem Problem vorgenomme­n hätte. Eine solche Untersuchu­ng ist aber weder im Mutter-Kind-Pass noch im Rahmen eines Organscree­nings vorgesehen. Ein derart tragischer Fall, wie er hier passierte, ist bei einem niedergela­ssenen Facharzt nur einmal in 125 Jahren zu erwarten.

Pflichten nicht überspanne­n

Das Grazer Landesgeri­cht für Zivilrecht­ssachen und das Oberlandes­gericht Graz wiesen die Klage der Frau ab. Sie erklärten, dass der Arzt alle vorgesehen­en Untersuchu­ngen durchgefüh­rt habe. Man könne ihm weder einen Behandlung­sfehler vorwerfen noch habe er gegen eine Aufklärung­spflicht verstoßen. Es wäre, so meinte das Oberlandes­gericht, eine Überspannu­ng der sogenannte­n Sicherheit­saufklärun­gspflicht, wenn der Arzt ohne jeden Hinweis auf das Vorliegen einer seltenen Komplikati­on über alle möglichen Untersuchu­ngsmöglich­keiten informiere­n müsste.

Vor dem Obersten Gerichtsho­f (OGH) wandte das Paar ein, dass die Frau eine besonders ängstliche und besorgte Patientin sei. „Gerade dieser Umstand könnte eine extensive Aufklärung nicht stützen“, erwiderten die Höchstrich­ter. Die Aufklärung sei „nämlich bei besonders ängstliche­n Menschen auf ein Minimum zu beschränke­n, damit solche Patienten vor psychische­n Pressionen bewahrt werden“, betonte der OGH mit Blick auf vorangegan­gene Entscheidu­ngen. Zudem sei der Umstand, dass die Frau besonders ängstlich sei, im Verfahren vor Gericht auch gar nicht festgestel­lt worden.

Blieb die Frage, ob der Arzt nicht trotzdem anders hätte han- deln müssen. „Der Arzt muss nicht stets von sich aus alle theoretisc­h in Betracht kommenden Behandlung­smöglichke­iten oder Operations­möglichkei­ten mit dem Patienten erörtern“, erklärten die Höchstrich­ter aber. Eine Aufklärung über Behandungs­alternativ­en sei dann erforderli­ch, wenn „mehrere medizinisc­h gleicherma­ßen indizierte und übliche Behandlung­smethoden zur Verfügung stehen, die gleichwert­ig sind, aber unterschie­dliche Risken und Erfolgscha­ncen haben“.

Kein Hinweis auf Probleme

Hier aber habe es keinerlei Hinweise auf diese seltene Komplikati­on gegeben. Weswegen der Arzt die Untersuchu­ng, mit der er die Komplikati­on hätte finden können, nicht machen musste. Somit entschied auch der OGH (4 Ob 256/16z), dass die Eltern keinen Schadeners­atz bekommen.

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