Weniger Aufklärung für ängstliche Patienten
Kunstfehler. Eine Frau, die ihr Kind tot gebären musste, klagte ihren Arzt. Dabei wandte die Patientin ein, dass man sie wegen ihrer grundsätzlichen Sorge genauer hätte aufklären müssen als andere. Im Gegenteil, sagt das Höchstgericht.
Wien. Weil ihr Kind tot zur Welt gekommen war, klagte ein Paar einen niedergelassenen Gynäkologen auf Schadenersatz. Die Frage, ob die Frau genügend über mögliche Komplikationen aufgeklärt wurde, beschäftigte dabei den Obersten Gerichtshof.
Der Facharzt wehrte sich gegen die Vorwürfe. Und tatsächlich wurde festgestellt, dass der Arzt statt der im Mutter-Kind-Pass vorgesehenen drei Ultraschalluntersuchungen sieben Untersuchungen gemacht hatte. Zusätzlich wurden auch noch weitere Maßnahmen gesetzt (CTG-Kontrolle, Combined-Test mit Messung der Nackenfalte), die ebenfalls nicht im Mutter-Kind-Pass stehen.
Das Kind aber war verblutet, wegen einer Ruptur der Vasa praevia. Die Komplikation, die das Kind hatte, hätte nur gefunden werden können, wenn der Arzt eine ganz bestimmte, fokussierte Fahndung nach dem Problem vorgenommen hätte. Eine solche Untersuchung ist aber weder im Mutter-Kind-Pass noch im Rahmen eines Organscreenings vorgesehen. Ein derart tragischer Fall, wie er hier passierte, ist bei einem niedergelassenen Facharzt nur einmal in 125 Jahren zu erwarten.
Pflichten nicht überspannen
Das Grazer Landesgericht für Zivilrechtssachen und das Oberlandesgericht Graz wiesen die Klage der Frau ab. Sie erklärten, dass der Arzt alle vorgesehenen Untersuchungen durchgeführt habe. Man könne ihm weder einen Behandlungsfehler vorwerfen noch habe er gegen eine Aufklärungspflicht verstoßen. Es wäre, so meinte das Oberlandesgericht, eine Überspannung der sogenannten Sicherheitsaufklärungspflicht, wenn der Arzt ohne jeden Hinweis auf das Vorliegen einer seltenen Komplikation über alle möglichen Untersuchungsmöglichkeiten informieren müsste.
Vor dem Obersten Gerichtshof (OGH) wandte das Paar ein, dass die Frau eine besonders ängstliche und besorgte Patientin sei. „Gerade dieser Umstand könnte eine extensive Aufklärung nicht stützen“, erwiderten die Höchstrichter. Die Aufklärung sei „nämlich bei besonders ängstlichen Menschen auf ein Minimum zu beschränken, damit solche Patienten vor psychischen Pressionen bewahrt werden“, betonte der OGH mit Blick auf vorangegangene Entscheidungen. Zudem sei der Umstand, dass die Frau besonders ängstlich sei, im Verfahren vor Gericht auch gar nicht festgestellt worden.
Blieb die Frage, ob der Arzt nicht trotzdem anders hätte han- deln müssen. „Der Arzt muss nicht stets von sich aus alle theoretisch in Betracht kommenden Behandlungsmöglichkeiten oder Operationsmöglichkeiten mit dem Patienten erörtern“, erklärten die Höchstrichter aber. Eine Aufklärung über Behandungsalternativen sei dann erforderlich, wenn „mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Behandlungsmethoden zur Verfügung stehen, die gleichwertig sind, aber unterschiedliche Risken und Erfolgschancen haben“.
Kein Hinweis auf Probleme
Hier aber habe es keinerlei Hinweise auf diese seltene Komplikation gegeben. Weswegen der Arzt die Untersuchung, mit der er die Komplikation hätte finden können, nicht machen musste. Somit entschied auch der OGH (4 Ob 256/16z), dass die Eltern keinen Schadenersatz bekommen.