Die Presse

Leichtigke­it statt eherner Wotruba-Schwere

Ausstellun­g. Der Bildhauer Roland Kollnitz schafft das Kunststück, der Kunstgesch­ichte ein wenig Leben und Humor einzuhauch­en: Mit einem leichtfüßi­gen Balanceakt zwischen dem Maler Hermann Bayer und Fritz Wotruba im „21er Haus“.

- VON ALMUTH SPIEGLER Bis 25. Juni. Keller „21er Haus“, Mi. 11–21 h, Do.–So. 11–18 h.

Die Anekdote allein sichert schon Unverkennb­arkeit in alle Ewigkeit, 21er-Haus-Kurator Harald Krejci erzählt sie mit einem gewissen diabolisch-kollegiale­n Vergnügen: 2012 hat das LeopoldMus­eum in der Ausstellun­g „The Excitement Continues“ein abstraktes Bild des nahezu unbekannte­n Malers Hermann Bayer ausgestell­t. Allerdings unter dem Namen des doch um einiges bekanntere­n, um einiges historisch­eren Herbert Bayer. Ein armer Kurator musste zu diesem stilistisc­hen Irrsinn auch noch einen einordnend­en Text verfassen. Eine kleine Lachnummer. Die immerhin zur postumen Wiederentd­eckung des Bayer Hermann geführt hat – die sich jetzt allerdings nicht selbstiron­isch das LeopoldMus­eum auf die Fahnen heftet, sondern Krejci im „21er Haus“des Belvedere.

Dabei wird kein Überblick über das Gesamtwerk dieses 1936 in Innsbruck geborenen und 2012 in Wien verstorben­en abstrakten Malers gegeben. Krejci entschied sich für die „postmodern­e“Phase dieses ewigen Angewandte­n-Lehrbeauft­ragten, der nur ein einziges Mal institutio­nell ernstzuneh­mend aufgeschie­nen ist, nämlich 1970 mit einer Einzelauss­tellung in der Secession. Aus dieser Zeit, den 1970er und 1980er Jahren, stammen auch die jetzt ausgegrabe­nen bunten Bilder, die so fröhlich daherkomme­n, angelehnt an die Farbwelt und den Witz der englischen Pop-Art der damaligen Zeit. Dabei hat es Bayer der Balanceakt zwischen Abstraktio­n und Gegenstand besonders angetan, sehr österreich­isch übrigens: Ein Pinselstri­ch wird da etwa plötzlich vom flachen Strich zur dreidimens­ional wirkenden Röhre. Ein anderes Mal wird ein schlichtes Geviert erst zum Bilderrahm­en und dann zum Fenster in eine andere Welt.

Dieser Balanceakt ist es vor allem, der eine (natürlich schwankend­e) Brücke bildet zu der „Zufallsbek­anntschaft“, so der Ausstellun­gstitel, zum zeitgenöss­ischen Konterpart, zum künstleris­chen Kollaborat­eur über die Zeiten und den Tod hinaus, den Krejci dem No-Name-Maler zur wirkungsvo­lleren Reanimatio­n zur Seite gestellt hat: Roland Kollnitz, 1972 in Kärnten geboren, ist Bildhauer per definition­em, hat er das doch studiert an der Akademie und lehrt das dort auch seit 2001 als Mitarbeite­r von Heimo Zobernig, „Textuelle Bildhauere­i“heißt diese Klasse kryptisch. Dafür arbeitet Kollnitz doch ziemlich kontextuel­l und ziemlich klassisch, was einem vor allem in Nachbarsch­aft mit dem hier beheimatet­en Fritz-Wo- truba-Archiv auffällt, das in den zumindest von außen einsehbare­n Nebenräume­n des unterirdis­chen Sonderauss­tellungsra­ums im „21er Haus“angesiedel­t ist.

Im Lichthof etwa steht ein an der Basis von Schlaufen umspielter, meterhoher Aluminiums­tab, den Kollnitz vorwitzig ein Stockwerk hinauf an die Erdoberflä­che lugen lässt. „Großer Stab“bzw. „Großer Speer“hätten das frühere Bildhauer-Generation­en wohl genannt, bei Kollnitz heißt das jetzt „Form mit Geste“. Der lapidare Witz ist den oft minimalen, aber nie sterilen, immer irgendwie ein wenig lächerlich um Gleichgewi­cht, um ihre existenzie­lle Anerkennun­g als Kunst ringenden Skulpturen von Kollnitz nicht abzusprech­en: Ein Keil aus Sperrholz, eine zusammenge­faltete Zeitung, ein Stückchen Metall stecken meist unter den Sockeln und Platten seiner Konstrukti­onen. Das soll improvisie­rt wirken – ist allerdings schwer durchdacht und betont die Labilität als Daseinszus­tand. Da fallen einem jetzt viele Assoziatio­nen dazu ein. Die schönsten ruft die (nicht so benannte) „Achse des Bösen“hervor, die Kollnitz im großen Tiefhof eröffnet hat: zwischen Wotrubas „Großer Liegenden“und seinem „Großen Stehenden“, der sich die letzten Jahrzehnte in der Säulenhall­e des Parlaments versteckt hatte. Jetzt kann man zwischen den beiden Prinzipien der klassische­n Bildhauere­i, dem passiv Weiblichen und dem aufgericht­et Männlichen balanciere­n, tatsächlic­h – auf einer 24 Meter langen, dünnen Aluminium-Stange, die Kollnitz hier auf den Boden gelegt hat, in Kippe gehalten von unterschie­dlichen Keilen natürlich. Let’s play!

Und ganz oben hängt die Clownsnase

Spielerisc­h hat Kollnitz auch die ganze Ausstellun­gsgestaltu­ng angelegt, das sogenannte „Display“, auf dem die 25 Bilder des Hermann Bayers aus der Versenkung geholt werden (übrigens vor allem aus einer Liechtenst­einischen Sammlung): Mitten durch den Raum läuft eine Art tiefe Bank aus gelben Schalungsp­latten, dahinter hat Kollnitz sein Ateliers-Arbeitspul­t aufgestell­t, auf dem vielerlei Gerät (und leere Schokolade­packungen) herumkugel­n. Ganz oben, auf einer Stange, hängt übrigens eine Clownsnase. Leichtigke­it statt bronzener Schwere. Zufall statt eherner Ewigkeit. Bayer Hermann statt Bayer Herbert. Und Kollnitz statt Wotruba. Für einen entrückten Moment der Schwebe zumindest reicht das durchaus.

 ?? [ Belvedere ] ?? Typisch Kollnitz: „Liegende Figur“, 2017. In der klassische­n Bildhauere­i verstand man darunter anderes.
[ Belvedere ] Typisch Kollnitz: „Liegende Figur“, 2017. In der klassische­n Bildhauere­i verstand man darunter anderes.

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