ÖVP-Unmut über Kern
Koalition. Atmosphärisch hat sich die Stimmung in der rot-schwarzen Regierung wieder zusehends verschlechtert. Aber auch inhaltlich geht derzeit nicht mehr allzu viel weiter.
Die Atmosphäre in der Koalition hat sich wieder zusehends verschlechtert.
Wien. Die Koalition kriselt weiter vor sich hin. Vor allem auf ÖVPSeite wächst der Ärger über SPÖBundeskanzler Christian Kern: „Er agiert, als hätte er eine Alleinregierung, und die ÖVP wäre ein lästiges Anhängsel“, klagt ein ÖVPMann. Selbst die Wohlmeinenden in der Volkspartei – wie Parteichef Reinhold Mitterlehner – habe der SPÖ-Chef mittlerweile gegen sich aufgebracht, sagt ein anderer.
Der Kanzler gebe sich wie ein Generaldirektor, der allein die Weisheit gepachtet habe und wisse, was gut und was böse ist. Das sei kein gemeinsames Regieren auf Augenhöhe. Und während Kern selbst ständig Alleingänge unternehme, würde er sich furchtbar aufregen, wenn das ein ÖVP-Minister wie Wolfgang Sobotka mache. Auch Mitterlehner hatte sich zuletzt demonstrativ hinter Wolfgang Sobotka gestellt – wiewohl der Innenminister parteiintern dem Sebastian-Kurz-Lager zuzurechnen ist.
Seit seiner Plan-A-Rede ist das Misstrauen in der ÖVP gegenüber Kern groß. Damals hatte man den Verdacht, der Kanzler würde es auf Neuwahlen anlegen. Diesen hegt man jetzt zwar nicht mehr, dennoch nervt die führenden Vertreter der ÖVP die „Selbstdarstellung“und „Sprunghaftigkeit“des Kanzlers zusehends.
Erst sei er gegen ein Auftrittsverbot für den türkischen Präsidenten, Recep Tayyip Erdogan,˘ in Österreich, weil die ÖVP dafür sei, dann sei er auf einmal für ein europaweites Auftrittsverbot. Und die Forderung nach einer Kürzung der EU-Beiträge für osteuropäische Staaten sei reine Show, weil realistisch nicht umsetzbar.
Verhandlung abgesagt
Doch nicht nur atmosphärisch hakt es derzeit – auch inhaltlich: In der Vorwoche passierte im Ministerrat nicht viel, und diese Woche sieht es nicht anders aus. Zudem wurde eine für Montagnachmittag angesetzte Verhandlungsrunde auf Beamtenebene zur Kürzung der Familienbeihilfe für im Ausland lebende Kinder von SPÖ-Seite kurzerhand abgesagt, was die zuständige ÖVP-Ressortchefin, Sophie Karmasin, verärgerte: „Wenn wir schon so anfangen, wird es schwierig, den Zeitplan zu halten.“
Karmasin (wieder) verärgert
Mit einer verärgerten Sophie Karmasin hatte auch der letzte größere Koalitionskrach begonnen, der dann nach tagelangen Verhandlungen mit einem Update des Regierungsprogramms endete.
In der SPÖ hat man eine einfache Erklärung dafür: Der Kanzler habe die Verhandlungen in Sachen Familienbeihilfe an sich ge- zogen – wegen der europäischen Komponente dieser Thematik. Der Ansprechpartner für Karmasin sei also nicht mehr das Gesundheitsministerium, sondern das Kanzleramt. Für Freitag sei nun ein entsprechender Termin anberaumt.
Überhaupt liege es nicht an der Kanzlerpartei, dass derzeit in den Ministerräten nichts weitergehe. „Das neue Mietrecht, die Presseförderung, die Schulautonomie oder den Drozda-Vorschlag für ein Verbot von Auftritten türkischer Politiker in Österreich könnten wir sofort beschließen“, sagt ein Sozialdemokrat. Doch da lege sich die ÖVP quer. Andererseits würde es auch wieder Ministerräte geben, in denen – etwa um die Frist vor der Sommerpause einzuhalten – um die 60 Gesetze auf ein- mal beschlossen würden. Dass es im Moment zwar stocke, inhaltlich aber auch schon einiges weitergegangen sei, konzediert man allerdings auch in der ÖVP-Führung: vom Beschäftigungsbonus über die Investitionsprämie bis zum Fremdenrechtspaket.
Problem Gewerbeordnung
Von einem Konsens entfernt sind die beiden Parteien derzeit bei der Novelle der Gewerbeordnung. Diese wird – wie „Die Presse“bereits berichtete – heute nicht wie geplant im Wirtschaftsausschuss im Parlament behandelt werden. Die SPÖ will im Bau- und Baunebengewerbe mehr reglementieren als bisher und Scheinselbstständigkeit in der Gewerbeordnung verankern. Die ÖVP lehnt das ab.