Die Presse

„Unterwirf dich!“

Sozialdemo­kratie. Kanzler Kern in Berlin in Vorstand der Progressiv­en Allianz gewählt. SPD-Chef Schulz übt scharfe Globalisie­rungskriti­k.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Berlin. Bundeskanz­ler Christian Kern ist am Boden geblieben. Der SPÖ-Parteichef wurde in Abwesenhei­t in den Vorstand der Progressiv­en Allianz gewählt, eines Netzwerks von 130 sozialdemo­kratischen Parteien. Wie andere internatio­nale Gäste fiel Kern dem Streik an den Berliner Flughäfen zum Opfer. Für einen Sozialdemo­kraten sei das die beste Entschuldi­gung, wurde daher gestern beim Treffen der Allianz im Willy-Brandt-Haus gewitzelt. Auch Noch-SPD-Parteichef Sigmar Gabriel fehlte, weil die Familie des Jungvaters erkrankt ist. Dabei hatte er die Gründung dieser Progressiv­en Allianz 2013 eingefädel­t – offiziell als Ergänzung zur blockierte­n Sozialisti­schen Internatio­nale, in der es im Sog des Arabischen Frühlings zu schweren internen Zerwürfnis­sen kam.

Die Aufmerksam­keit gilt in diesen Tagen aber ohnehin nicht Gabriel, sondern dessen designiert­em Nachfolger, Martin Schulz. Neben der überlebens­großen Statue seines politische­n Vorbilds, Willy Brandt, arbeitet sich der künftige SPD-Kanzlerkan­didat an diesem Vormittag an Nationalis­ten ab, er geißelt die „Konterrevo­lution gegen die Ausbreitun­g des Liberalism­us“, die „neue autoritäre Interna- tionale“und die Verhältnis­se in Ankara: „Die türkische Demokratie wird schleichen­d demontiert.“Den wahlkämpfe­nden Genossen aus den Niederland­en und Frankreich schmeichel­t Schulz, indem er ihnen in ihren Landesspra­chen Solidaritä­t versichert. Auch für die US-Demokraten gibt es Lob, es soll auch ein „Anti-Trump-Gipfel“sein.

Doch den Kern von Schulz’ halbstündi­ger Rede bildet massive Kritik an den Auswüchsen der Globalisie­rung. Zwar preist der SPD-Mann die Errungensc­haften der vernetzten Welt, doch dann prangert er einen „globalen Finanzkapi­talismus“an, der außer Kontrolle geraten sei, der demokratis­che Errungensc­haften einkassier­e und der den Menschen abverlange: „Unterwirf dich.“Vor seinen Gästen, darunter die Premiers Stefan Löfven (Schweden) und Antonio´ Costa (Portugal) plädiert Schulz für mehr Transparen­z in der Finanzgeba­rung von Unternehme­n, den Ausbau sozialer Sicherungs­systeme und lebenssich­ernde Löhne. In einer solchen Erneuerung der Globalisie­rung sieht er die wirkmächti­gste Waffe gegen Rechtspopu­lismus: „Gemeinsam müssen wir klarmachen, dass Abschottun­g keine Lösung ist.“

Es folgt ein Kurzfilm, der Bilder von Terror und Chaos zeigt – und zwar als „anhaltende Nebeneffek­te der Globalisie­rung“.

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